Wahnsinns Liebe
am Stammtisch sitzen, haben |81| es längst gelernt, die scheelen Blicke von Loos auf ihre Teller einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Auf den meisten dampfen die Kartoffelknödel neben dem Schweinsbraten. Schließlich bemüht sich Herr Pelikan, dieser Bierhalle im Burgtheaterschatten ihr Münchner Aroma zu lassen oder das, was er dafür hält. Die Knödel sind locker und zartgelb, die Kruste des Bratens kracht zwischen den Zähnen. »Knödelessen verblödet«, sagt Loos. »Oder ist es so, daß nur die Verblödeten Knödel essen?«
Die anderen essen weiter. Sie werfen sich nicht einmal mehr Blicke zu, denn das Spiel wiederholt sich zu oft.
»Frauen, die bereits Knödel kochen gelernt haben, sollte man nicht heiraten«, erklärt er nun laut. »Gott sei Dank hat auch Bessie keine Ahnung davon, so wenig wie Lina oder Elsie vor ihr. Ich liebe die unverbildete Frau.«
Bessie ist Engländerin und versteht nicht recht, was er sagt, aber sie schmiegt sich sicherheitshalber an ihn und beißt in die nackte Tomate, die vor ihr liegt. Tomate ohne alles, ohne Salz, ohne Öl. Er hat gesagt, so äßen die Kinder in Amerika, und das sei modern.
Schönberg hat bereits den halben Teller leergegessen. »Damit du Pygmalion spielen und sie ausstaffieren kannst wie deine Wohnung – durchweg ein echter Loos.« Er schiebt das nächste Stück Schweinsbraten hinein und zerbeißt die Kruste, so laut es geht. »Ich bin ganz froh, daß Mathilde schon gebildet war, in Tonsatz und im Knödelkochen.«
Das Gesicht von Loos bleibt starr. Eine Platte mit Spargel wird vor ihn hingestellt. Er nimmt eine Stange in der Mitte zwischen zwei Finger, sie läßt schlaff die laschen Schenkel hängen. Er legt sie zurück und bestellt ein Seidel Bier und etwas Vollkornbrot.
|82| »Hier ißt man eben keinen Spargel«, sagt Friedell grinsend.
Zwischen ihm und Peter Altenberg sitzt eine Frau mit Kinderfigur und großen ausgebrannten Augen, denen anzusehen ist, daß sie schon alles kennt, mehr als diesem kleinen Körper guttut. Wie die meisten Frauen, die Peter mitbringt, gibt sie als Beruf »Tänzerin« an.
»Und warum sind Sie so gegen Knödel?« fragt sie, denn bisher gab es wenig Gelegenheit, irgend etwas zu fragen.
Loos beugt sich vor. »Weil sie die geballte Verlogenheit sind. Keiner, der sie ißt, weiß doch, was da drinsteckt. Die letzten Abfälle kann man da reinkneten. Ist Ihnen denn klar, daß der Kartoffelknödel seine appetitliche Farbe nur daher hat, daß er geschwefelt wird? Wissen Sie, wie Schwefel stinkt?«
Die Tänzerin schiebt ihren Teller von sich. Loos nimmt es zufrieden zur Kenntnis.
»Im Knödel wird alle natürliche Schönheit zerstört. Die natürliche Form wird gefühllos zerhäckselt. Knödelessern fehlt jede Achtung vor …«
»Es ist schön, daß wir von dir erfahren, was wir für rohe Kerle sind«, sagt Schönberg. »Alle, bis auf Altenberg, der wie du nur das Reine liebt.« Auf dem Holzteller vor Altenberg liegt ein Tafelspitz, ein makelloses Stück, denn ein anderes äße er nicht, und irgendwer findet sich immer, der diese Ansprüche auch bezahlt – gegen ein paar Tropfen Poesie, mit dem Peter zum Dank das trockene Leben der Gönner befeuchtet. Ein Brief genügt, erfahrungsgemäß.
»Höre ich da Hohn heraus?« fragt Altenberg.
Schönberg grinst. »Na, diese Verherrlichung des Reinen macht mich immer mißtrauisch. Und dieser Minnesängerton« |83| – er steht auf und deklamiert: »O Fraue, o göttlicher schimmernder Leib«, dann setzt er sich wieder hin – »… mit dem unser Altenberg die Frauen weich zu kriegen versucht …«
»Was heißt da versucht?« sagt Friedell. »Peter beherrscht es, die Frauen von sieben Jahren an, die Bettelkinder, die Huren wie die Diven und die Millionärsgattinnen, mit nichts anderem als seiner Aufmerksamkeit zu betören. Das neidet ihr ihm natürlich, ich ja auch.«
»Na, bei Lina hat es nicht geklappt«, sagt Loos. »Auch wenn meine Geschiedene so nett war, mir den neuesten Erguß zu vergönnen, den du über sie gegossen hast. Wie war das noch?« Er beugt sich vor, setzt eine affektierte Miene auf und redet mit hängenden Mundwinkeln. »Lina, für mich sind Sie das Opfer der schamlosen Sexualität des Mannes, dem nichts heilig, nichts künstlerisch ist, sondern reine Freßgelegenheit. Niemand hatte Achtung vor diesen aschblonden Haaren, diesen lieblichen Achselhöhlen mit dem unbeschreiblich zarten beglückenden Dufte …«
Altenberg scheint nichts wahrzunehmen als sein Messer,
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