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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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mit dem er ein Stück vom Tafelspitz abschneidet, seine Gabel, die einen Bissen aufspießt und sich damit dem schnurrbartverschütteten Mund nähert.
    »Hören Sie auf, hören Sie sofort auf«, kreischt die Kindfrau mit den toten Augen. »Machen Sie nicht alles kaputt, was der Herr Altenberg uns Frauen Schönes sagt.«
    Altenberg sieht sie an, legt das Besteck ab, steht auf, schiebt seinen Stuhl beiseite, dreht ihren herum und kniet auf dem dreckigen Boden vor ihr nieder. Eine |84| Hand auf ihr Knie gelegt, die andere auf ihre Rechte, blickt er von unten zu ihr hinauf.
    Die Tänzerin ist sichtbar verlegen, wagt ihn nicht abzuschütteln, wagt nicht, die Augen abzuwenden von seinem flehenden Gesicht, spürt aber, wie der Spott um sie her zu kribbeln beginnt. Dennoch genießt sie es, wie sie durch diesen Blick von unten erhoben wird, auf ein Podest gestellt.
    Loos ist es, der laut in die Stille bricht. »Peter, ich bewundre dich. Du tust, als wärst du ein Frauenverehrer, dabei haßt du die Frauen aus tiefstem Herzen. Du haßt sie so heftig wie die Reichen. Weil sie das, was sie im Übermaß besitzen, an Unwürdige verschwenden. Also an solche, die du persönlich für unwürdig hältst. Zum Beispiel die jeweiligen Ehemänner.«
    Ohne, daß es einer in der Runde bemerkt hat, ist die Tür aufgegangen und ein großer schmaler Mann eingetreten. Zielstrebig ist er auf den Stammtisch zugegangen. Schönberg sieht ihn als erster. Er lüpft den Hintern ein paar Zentimeter von der Bank. »Mein Porträtist, Richard Gerstl«, sagt er.
    Gerstl bleibt stehen. Loos rückt auf der Bank näher an Bessie und macht so das Ende frei, Altenberg deutet, immer noch kniend, auf seinen leeren Stuhl. »Ich bin schon wieder weg«, sagt Gerstl und beugt sich zu Schönberg. »Ich wollte nur sagen, daß ich Ihre Frau vom Konzert aus direkt nach Hause gebracht habe und es ihr nicht sehr gut geht. Es ist wohl …«
    Schönberg betrachtet seinen leeren Teller und poliert ihn mit einem Stück Semmel. »So ist das nun mal in der Schwangerschaft. Aber …« Er schaut kauend zu Gerstl auf: »Wissen Sie, Mathilde ist eine tapfere Frau, eine sehr tapfere Frau.«
    |85| Gerstl steht reglos da, durch sein Gesicht läuft ein Beben. »Und glauben Sie, daß sie das gerne ist?«
    Schönberg lächelt. »Junger Freund, was sind das für Fragen?«
    Gerstl wendet sich abrupt um und rennt zum Ausgang.
    Es ist auf einmal still am Tisch.
    Altenberg setzt sich wieder auf seinen Stuhl, zieht seine Pfeife aus der Innentasche des Mantels, stopft sie und bittet die mit den ausgebrannten Augen, ihm Feuer zu geben.
    Friedells schwerer Schädel sieht aus wie der eines Denkmals.
    »Der Kerl ist begabt, aber der Wahnsinn hat ihn wohl doch gestreift.« Schönberg weiß als Cellist, wie er einen Celloton in seine Stimme bringt. »Junger Künstler mit reichen Eltern, völlig sorgenfrei. Der braucht sich mit der gemeinen Wirklichkeit nicht die Hände schmutzig zu machen. Und von Frauen hat er offenbar gar keine Ahnung.«
    Altenberg sieht ihn lange an. Dann sagt er, fast ohne den Mund zu bewegen, mehr für sich: »Bist du da sicher?«

    Trotz der nur halbgeschlossenen Läden ist es stickig in der Wohnung.
    Weil es ihr peinlich ist, daß man an solchen Tagen den muffigen Geruch der alten Teppiche wahrnimmt, hat sie einer der Blumenfrauen unten an der Liechtensteinstraße drei der wild gepflückten Sträuße abgekauft. |86| Und wirklich legt sich der Duft der Spyräen, des letzten Jasmins und der Heckenrosen gnädig über den dumpfen Mief. Sicherheitshalber hat sie auch noch Kaffee angebrüht, obwohl nicht zu vermuten ist, daß er an einem so drückenden Morgen kurz nach dem Frühstück Lust darauf haben könnte. Die Fenster aufzureißen würde wenig helfen. Ihre Stirn ist feucht. Doch das mag andere Gründe haben.
    »Der Bauch muß weg«, sagt er. »Sonst werden Sie es hassen in den nächsten Jahren. Weil es Sie immer und immer daran erinnert.«
    Mathilde nickt. Ihre Augen sehen verweint aus, obwohl sie nicht geweint hat. Ja, es stimmt: Wenn auf dem Bild ihre Schwangerschaft zu sehen wäre, würde sie nicht anders können, als immer wieder daran zu denken: Während ich gelitten und gekotzt habe, in dauernder Angst vor der angedrohten Frühgeburt, und versucht habe, die Schmerzen in der Nierengegend nicht wahrzunehmen, da hat mein Mann es mit irgendeiner anderen getrieben.
    Wie es dazu gekommen ist, daß sie ausgerechnet mit diesem befremdlichen, sechs Jahre jüngeren Maler darüber

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