Wahnsinns Liebe
geredet hat, könnte sie nicht mehr sagen. Sie merkt nur, es hat ihr gutgetan.
Ob sie denn eine Ahnung habe, wer die andere sei.
»Nein, ich weiß nicht, wer sie ist, nur wie sie riecht.«
»Und wie riecht sie?«
»Süßlich, aber nicht billig«, hat sie geantwortet. »Sie riecht wie eine Frau, die fast nichts tut.«
»Und warum sprechen Sie ihn nicht darauf an?«
»Weil ich es mir nicht antun will, ihm beim Lügen zuzusehen. Das steht ihm überhaupt nicht.«
Jetzt sitzt sie im Wohnzimmer in einem dunkelblauen |87| Kleid, hochgeschlossen, mit hoher Taille, von der es weit und lose fällt, was den Bauch halbwegs kaschiert. Da fängt Gerstl plötzlich an, das Zimmer umzuräumen. Schiebt den schweren Tisch mit den gedrechselten Beinen zu ihr hin, nimmt einen roten orientalischen Teppich, der über dem Sofa liegt, breitet ihn über den Tisch, tritt zurück, sieht die Szene an und nickt. »So geht es. Der Bauch ist so gut wie weg.«
Nur wo dann Trudi hin soll, die Arnold unbedingt mit auf dem Bild haben will, ist noch ein Problem. Er selber hat vorgeschlagen, sie auf Mathildes Schoß zu plazieren. »Bürgerlicher Blödsinn«, sagte Gerstl. »Außerdem halten Sie das bei dem Bauch keine halbe Stunde durch.«
Trudi steht da, schaut Gerstl an, schaut die Mutter an, beobachtet deren Bewegungen, wie er ganz kurz seine Hand auf ihre legt, wie sein Gesicht ihr Haar berührt, als er sie bittet, nur kurz das Hinterteil zu lüpfen, damit er ihr den Stuhl zurechtrücken könne.
Dann sieht er Trudi an, greift sich den hohen Kinderstuhl, stellt ihn neben Mathilde an den Tisch und setzt die Tochter drauf. Sie gibt keinen Muckser von sich, wendet nur das reglose Gesicht von hier nach dort und registriert jeden Handgriff, als müßte sie ihn auswendig lernen. Dann legt sie beide Unterarme auf den Tisch und schaut aus diesen alten Augen Gerstl an, als wäre ihr das Lachen fremd.
Mathilde sitzt steif und stumm. Ihr Kinn wirkt behäbig, ihr Ausdruck ist glanzlos.
»Reden Sie ruhig«, sagt Gerstl. »Ich sage dann schon, wenn es stört.«
Sie lächelt, kaum merklich. »Wissen Sie, mir kommt es ja fast widersinnig vor, daß ich hier porträtiert werde.« |88| »Warum?« Gerstl arbeitet zügig und konzentriert.
»Nun, ich bin doch eine völlig unbedeutende Frau.«
Ohne innezuhalten, antwortet er. »Erstens wäre das nichts Ungewöhnliches, denn gerade unbedeutende Menschen lassen sich gern verewigen. Und zweitens sind Sie nicht unbedeutend.«
Gut, sie sei eben mit Schönberg verheiratet, und trotz des chronischen Geldmangels und der Skandale – oder vielleicht gerade deswegen – sei ja wohl abzusehen, daß der mal berühmt werde.
Sie sagt es voll Müdigkeit.
»Er ist ein Genie, ein unfaßliches Genie«, kommt es hinter der Leinwand hervor. »Er durchbricht Grenzen, die keiner zu durchbrechen wagte.«
»Ja«, sagt Mathilde.
»Keiner kann Komposition so einfach erklären wie er. Und doch macht er selber Musik, die schwerer zu verstehen ist als alles, was bisher komponiert worden ist.«
»Sicher«, sagt Mathilde.
»Obwohl ihm klar ist, daß sich das nicht verkauft und die Leute restlos überfordert.«
»Ja«, sagt Mathilde.
»Bitte sinken Sie nicht in sich zusammen. Lieber legen wir mal eine Pause ein. Und um es deutlich zu sagen: Für mich sind Sie eine bedeutende Frau. Weil Sie für viel mehr Menschen, als Sie ahnen, etwas bedeuten. Für Schönbergs sämtliche Schüler, zum Beispiel. Auch wenn es denen gar nicht bewußt ist.«
Er mischt auf der Palette. »Und für mich.«
Mathilde richtet sich auf. Ihr Blick wird heller, das Kinn leichter, der Hals länger.
»Ich betrachte oft die Welt«, sagt sie, »die Welt hier |89| und jetzt, aus den Augen derer, die fünfzig oder hundert Jahre nach uns geboren werden. Ich bin mir ziemlich sicher, daß sie dann zwar unser Wien verklären, wie es jetzt schon unsere Freunde in München und Berlin tun und sogar Kenner in Amerika, aber eigentlich keine Ahnung haben, wie pervers die Stadt war.«
Gerstl schaut hinter der Leinwand hervor. »Was? Was haben Sie da gerade gesagt?«
Mathilde lächelt. »Ja, Sie haben richtig gehört: Dieses Wien ist pervers. Der schönste und der widerlichste Platz, den ich mir vorstellen kann. Für Frauen jedenfalls.«
Gerstl legt den Pinsel und die Palette ab, zieht sich einen Stuhl heran, setzt sich Mathilde gegenüber und legt ihr beide Hände auf die Knie. Da trifft ihn Trudis Blick von der Seite. Er verschränkt die Arme und bittet um Erklärung im
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