Wahnsinns Liebe
sein?«
Schönberg nimmt das zweite Bild von der Staffelei, versorgt es ebenfalls achtsam auf einem weiteren Gartenstuhl. »Ich wollte eigentlich mit Ihnen übers Malen reden, Gerstl.«
Nun steht das dritte Bild da, ein Porträt von Mathilde. Die Augenfarbe stimmt nun.
»Warum haben Sie das gemalt?«
»Na ja, ich hatte an dem Nachmittag wenig Zeit, und meine Mathilde kenne ich eben. Da muß ich nicht mehr so genau hinschauen.«
»Ach ja?« sagt Gerstl.
Da sieht Schönberg ihn an.
»Und – habe ich sie getroffen?«
»Tief«, sagt Gerstl und hält dem Blick stand. »Sehr tief haben Sie Mathilde getroffen. Durch vieles, was Sie tun, und durch noch mehr, was sie nicht tun. Aber Sie haben doch gerade vorher gesagt: Ein Porträt muß dem Maler ähnlich sein … «
»Mathilde ist ein Teil von mir. Sie ist mir von Gott geschenkt, damit ich mein Genie leben kann. Verstehen Sie? Wem Gott die Bestimmung gegeben hat, Unpopuläres zu denken, dem hat er auch die Fähigkeit gegeben, sich damit abzufinden, daß es immer die anderen sind, die gut verstanden werden. Und die fleischgewordene Abfindung, das ist Mathilde. Ohne mich ist sie bedeutungslos. Eine gute, kluge Frau, die immer den zuerst tröstet, der am leichtesten zu trösten ist. Aber durch mich, durch das, was sie für mich leistet, kann sie unsterblich werden.«
|212| Gerstl sieht Schönberg in die Augen. Die Blicke beider wetzen aneinander die Klingen. Schönberg schlägt zuerst: »Das weiß sie auch«, sagt er. »Und das wird sie nie mehr vergessen.«
Der Abend ist noch weiß, als er heimkehrt. Vom Backhaus herüber weht der Geruch des frischen Brots. Mathilde sitzt auf der Bank vor dem Haus und liest. Sieht also nicht, wie er über den Feldweg näherkommt; ein noch feuchtes neues Bild hängt am Keilrahmen an den Fingern seiner Rechten, links trägt er die Staffelei. Erst als sie seine Schritte hört, schaut sie auf. »Und?«
Ohne sie anzusehen, tritt Schönberg mit dem Fuß gegen die angelehnte Tür und rumpelt ins Innere. Von drinnen sagt er: »Ich glaube, unser junger Maler lernt einiges von mir.«
»Was?« ruft sie den Kopf zur Tür gewandt. »Was hast du gelernt?«
»Nicht ich, er«, kommt es von drinnen. »Er hat etwas Wesentliches verstanden. Und zwar durch mich.« Dann erscheint Schönberg wieder in der Tür, mit einem Terpentinlappen an seinen verfleckten Fingern rubbelnd. »Der weiß jetzt erst, wie man malen muß.«
Es ist zu spät, als er es sieht: Gerstl steht da. Mathilde hat ihr Buch zur Seite gelegt.
Beide Männer würdigen einander keines Blicks. Sie starren nur auf Mathildes Hand. Diese Hand, die das Messer hält, ist weich gepolstert und ziemlich klein, aber es ist ihr anzusehen, daß sie Kraft hat. Sie hält das |213| Messer fest umklammert, dieses große, handgeschmiedete Messer.
»Er hat gerade unser Familienbild vorbeigebracht«, sagt Mathilde, ohne den Griff zu lockern. »Da drüben lehnt es.« Doch Schönberg schafft es sowenig wie Gerstl, seinen Blick von dieser Hand und diesem Messer zu lösen. »Kühner«, sagt Mathilde ungewohnt scharf, »hat noch keiner gemalt. Keiner auf der Welt.«
»Aha, er traut sich auf einmal was, der junge Mann?« Schönberg näselt, denn er möchte näseln.
»Traut sich was?« Sie lacht leise. »Der traut sich alles. Das Bild da drüben ist – das Ende. Ein brutaler Abschied. Und ein radikaler Aufbruch, du wirst sehen.« Sie prüft mit dem linken Zeigefinger die Schärfe der Klinge. »Ein Schnitt ohne jede falsche Rücksicht.« Sie senkt den Blick auf ihren Schoß. Dort liegt auf dickem Brett der ofenwarme Laib Brot. Entschieden schneidet Mathilde die erste Scheibe ab.
Heißer war kein Tag, und stiller war auch keiner. Nichts bewegt sich in der gelähmten Natur. Sogar im Gastgarten des Hoisnwirts ist es ruhig wie in einer Winternacht, denn jetzt, um zwei Uhr mittags, liegen die meisten drinnen, haben nasse Laken ins Fenster gehängt, sich mit Bier müde getrunken und hoffen, daß der Schlaf sie hinüberträgt, bis ein Gewitter oder wenigstens die Abendkühle die Lähmung löst.
»Sie muß liquidiert werden.« Er sagt es leise, aber mit einer Entschlossenheit, die frösteln läßt in der Hitze des Nachmittags.
|214| Und alle nicken. »Sie muß liquidiert werden, und ich werde es tun. Denn anders schaffen wir es nicht, uns von ihr zu trennen. Weil wir mit einer dummen Affenliebe an ihr hängen. Nur, wenn wir die Tonalität hinrichten, können wir die Erfahrung machen, wie es sich ohne sie
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