Wahnsinns Liebe
bemerkt er die bestürzten Gesichter um sich her.
»Mein Gott, beruhigt euch. Beruhigt euch bitte. So gefährlich ist das alles nicht.«
»Was?« Weberns Stimme ist heiser. »Nicht gefährlich?«
Altenberg tätschelt seine Hand. »Die können doch beide nicht schießen.«
Der scheppernde Glockenschlag der Gmundener Pfarrkirche ist für die Sommergäste Musik. Vor allem der Zwölfuhrschlag, der ihnen das Recht zuspricht, sich zu stärken, nachdem sie seit dem Morgen nichts geschwächt hat.
Schönberg, der das Geräusch der Glocken hier noch mehr haßt als zu Hause, ist froh, daß beim Hoisnwirt davon wenig zu hören ist, es sei denn, der Wind stünde schlecht.
|206| An diesem Tag hört er es, vielleicht weil er um zwölf Uhr verabredet ist.
Gerstl betritt beim letzten Schlag den Gastgarten und kommt durch Röstzwiebel- und Bratengerüche über den Kies auf Schönberg zu.
Der hat neben dem entlegensten der Tische, auf dem sein Bierseidel steht, die Staffelei aufgebaut und seine drei zuletzt gemalten Bilder übereinander daraufgestellt.
Gerstl ist gerade aus dem noch immer kalt prickelnden Wasser des Sees und, ohne sich abzutrocknen, in die Kleider gestiegen. Er fühlt sich überlegen frisch neben Schönberg, dessen weißes Hemd an der Brust und am Rücken große feuchte Flecken zeigt.
»Ist das Ihr neuestes?«
»Ja.« Schönberg wischt sich die Stirn ab.
»Ein Selbstporträt.« Gerstl betrachtet den fast kahlen Kopf mit dunklen Haarpolstern über den Ohren, die schwarzen runden Augen, den verschlossenen Mund. Obwohl das Bild in keiner Hinsicht gekonnt ist, könnte es niemand für ein kindliches Machwerk halten – dafür ist es zu schlecht. Es fehlt ihm jene göttliche Selbstverständlichkeit, die auch ungeschickten Kindermalereien etwas Großes verleihen kann.
»Höre ich da ein Fragezeichen?« Schönbergs Stimme klingt gutgelaunt, und er sieht, gebräunt, glatt und sommerträge, siegessicher aus. Während er redet, schaut er sein Ölgemälde an. »Na gut, Gerstl. Jemand wie Sie, der hofft, so ein Bild zu verkaufen, muß sich natürlich andienen mit Ähnlichkeit. Aber ich finde, das Porträt hat nicht dem Modell, sondern dem Maler ähnlich zu sein.«
Gerstl läßt sich Zeit. »So betrachtet«, sagt er schleppend, »ist es ähnlich. Wirklich sehr ähnlich.«
Zwischen Schönbergs Brauen wächst ein Wulst. Er |207| sieht den anderen von der Seite an. »Warum? Inwiefern ist das Bild mir ähnlich? Ich meine, mir als dem Maler?«
»Insofern, als es nur für Sie von Interesse ist.«
Schönberg nimmt sein Bier vom Tisch, er trinkt schnell und laut. »Soll das heißen, daß Sie sich nicht dafür interessieren?«
»Das ist etwas anderes. Ich interessiere mich sehr dafür, daß Sie sich vor allem für sich interessieren.« Gerstl nimmt einen großen Kiesel vom Boden und wirft ihn über die Uferböschung hinweg in den Traunsee. »Schauen Sie, mich interessieren die Kreise. Das, was um den Stein herum passiert.«
Nur kurz, wie auf etwas Altbekanntes, schaut Schönberg aufs Wasser. »Unterschätzen Sie nicht die Größe der Kreise, die sich um mich bilden. Und sie werden wachsen durch die Wißbegierde der idealistischen Jugend. Weil die sich durch das Geheimnisvolle mehr angezogen fühlt als durch das Alltägliche.« Und schon klebt Schönbergs Blick wieder an seinem Bild. »Wenn ich genug zusammenhabe, werde ich mich in Wien an einen Galeristen wenden. Aber jetzt muß ich Sie fragen: Wie wirkt es denn auf Sie?«
Die Pause wird vom Lärm erfüllt, den die Schritte der eintrudelnden Gäste auf dem Kies verursachen.
»Verloren.«
»Was soll das heißen – verloren? Ein Mann, der ein Verlierer ist? Oder gedankenverloren? Oder verloren in der Welt?«
Gerstl stützt den linken Ellenbogen in die rechte Hand und das Kinn in die linke. »Nein, ich meine, bedrängt. Ein Mensch in Bedrängnis.«
»Ach ja?«
»Es hat etwas von einem Notschrei.«
|208| »Kunst
ist
ein Notschrei, lieber Gerstl. Kunst muß ein Notschrei sein.«
Gerstl dreht sich, nicht nur das Gesicht, den ganzen Körper, zu Schönberg und sucht seinen Blick. Vergeblich. »Meinetwegen.« Er spricht, auf Schönbergs Profil stierend. »Aber trotzdem sollte der Künstler noch wahrnehmen, was andere zu sagen haben. Auch wenn sie nicht schreien.«
»Andere sagen? Irgendwelche anderen? Wirklich nicht. Wozu auch?« Schönberg schüttelt sich wie ein nasser Hund und leert sein Bier.
»Leute, die mich aufsuchen, um mich kennenzulernen, ermüden mich
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