Wahrheit (Krimipreis 2012)
eine Furche in die schwarze Erde des Gartens hinter ihrem Haus, ließ eine Samenreihe hineinrieseln. Sobald sich die Spitzen zeigten, ging er nach dem Abendessen hinaus, legte sich auf den Weg neben seinem kleinen Möhrenbeet, warme Backsteine unter dem Körper, und versuchte zu hören, wie die Möhrchen sich dehnten, sich nach unten schoben.
»Wird Zeit, die Radieschen auszusäen«, sagte Rose. »Ich mag so ’n kleines Radieschen.«
»April«, sagte Villani, »dann kommen die Radieschen in die Erde.«
»April«, wiederholte Rose. »Bezweifle, dass ich den April noch erlebe. Spüre eine furchtbare Müdigkeit. Körperlich und seelisch.«
»Das sagst du jetzt seit zehn Jahren«, sagte Villani. »Das wirst du auch in zehn Jahren noch sagen.«
Rose sagte: »In zehn Jahren? Dann wär ich ja achtzig. Hab nicht vor, achtzig zu werden. Ich seh doch, wie man mit achtzig aussieht, verdammt. Man sieht wie der letzte Husten aus.«
Seit ihrer ersten Begegnung war Rose Quirk kaum älter
geworden. Bei seinem zweiten Besuch, in der Abenddämmerung dieses lange zurückliegenden Oktobertags, auf dem Rückweg von einer ergebnislosen Observierung, stand er an ihrer Haustür und bereute seinen Impuls. »Da ich in der Gegend war, dachte ich, ich schaue mal, ob Sie …«
»Nein«, sagte sie.
»Gar nichts?«
»Nein.«
»Nun, falls Ihnen etwas einfällt, kann ich …«
»Nein«, sagte sie.
Als Villani den rissigen betonierten Weg hinunterging, fiel sein Blick auf verkrustete Erde, verblichene Samentütchen. Am Tor sagte er: »Die Sommergemüse müssen bald rein.«
»Greg hat sich ums Gemüse gekümmert.«
Sie hatten Greg erschossen, er würde sich nicht mehr ums Gemüse kümmern.
Am nächsten Samstag wurde Villani früh wach, hörte Lauries Wagen auf dem Kies in der Auffahrt knirschen, es war ihr stressigster Arbeitstag der Woche. Er lag im Bett, dachte an das Gemüse der alten Frau, seufzte. Nachdem er den Kindern Frühstück gemacht hatte, fuhr er in eine Gärtnerei und kaufte Blutmehl und Hornspäne, Mulch, Samen, Setzlinge. Rose Quirk reagierte nicht auf sein Klopfen. Er ging hinters Haus, fand im Schuppen eine Grabgabel, grub die Beete um, hob Blutmehl und Hornspäne unter. Er säte und pflanzte Möhren, Bohnen, zwei Sorten Tomaten, Erbsen, Gurken, Rote Bete, verteilte Mulch auf den Beeten, wässerte gründlich.
Er schwitzte, betrachtete sein Werk, die bunten Samentütchen auf Stöcken, da hörte er das Tor.
»Was soll das?«, fragte Rose mit rauer Zigarettenstimme.
»Hab Gemüse gesät und gepflanzt.«
»Wieso?«
»Ich dachte, wir könnten sie uns teilen.«
»Warum bauen Sie nicht Ihr eigenes Grünzeug an?«
»Kein Platz.« Eine Lüge.
»Kann kaum gehen, geschweige denn mich um Gemüse kümmern. Kauf alles im Supermarkt, ist einfacher.«
»Es braucht nicht viel. Ich sorge dafür.«
Schwarze Augen, Rose sah ihn an, als wäre er ein Zeuge Jehovas, der sich nicht abwimmeln ließ. Er dachte, er war dumm gewesen, er ließ sich abwimmeln. Am Tor sagte er: »Sie haben meine Nummer, Mrs. Quirk, Sie können mich anrufen. «
»Was für ein Cop sind Sie?«
»Ich bin nicht nur ein Cop«, sagte er, »sondern auch ein Mensch.«
»Ach ja?«
»Ja.«
»Da wären Sie der Erste«, sagte sie. »Durst. Wie wär’s mit ’m Bier?«
»Ich könnt ein Bier vertragen.«
Sie saßen in lädierten, wackligen Korbstühlen auf der vorderen Veranda und tranken Vic Bitter aus Gläsern mit grünen und roten Streifen am Rand.
»Zigarette?«, fragte Rose.
»Hab aufgehört«, sagte Villani. Er nahm eine. Rose drückte auf ein rosa Plastikfeuerzeug, er beugte sich rüber.
»Kinder?«
»Zwei Mädchen und ein Junge.«
»Frau?«
»Frau. Ihre Mutter.«
»Wo sind Sie her? Aus Melbourne?«
»Nein. Oft umgezogen.«
»Wieso das denn?«
»Mein Dad war Soldat.«
Lautes Geklapper.
Villani schreckte auf, beunruhigt, Köpfe auf der Straße, Wollmützen.
Skateboardfahrer.
Die Straße war abschüssig, voller Löcher, die Jungs kamen aus der ganzen Gegend, um hier zu fahren. Villani legte den Kopf zurück, spürte, wie verkrampft sein Nacken war.
»Mein Dad war Hafenarbeiter«, sagte Rose. »Hat Mum verdroschen, hat mich verdroschen, hat uns alle verdroschen. Mein Bruder Danny ist weggelaufen, mit zwölf, hab ihn nie wiedergesehen. Der größte Scheißkerl aller Zeiten, mein Dad.«
Dazu gab es nichts zu sagen.
»Hat meinem Hündchen mit ’m Backstein den Kopf eingeschlagen«, sagte sie. »Ein größeres Schwein hat nie
Weitere Kostenlose Bücher