Wahrheit (Krimipreis 2012)
Menschen auffordern, sich zu melden?«
»Unbedingt, Mann. In großen Mengen.«
Kiely lächelte, unsicher.
»Jedenfalls wird die Kommunikationsexpertin Sie anleiten«, sagte Villani. »Ms. Cathy Wynn. Aber betten Sie sie bloß nicht ein.«
»Wie bitte?«
»Gar nichts. Ein Scherz.«
»Ihre Scherze«, sagte Kiely, »sind entweder besonders derb oder besonders abstrus.«
»Lassen Sie mich darüber nachdenken, ja?«
»Wahrscheinlich brauchen Sie dafür eine Weile.«
»Ziemlich frech für einen Untergebenen«, sagte Villani.
D ie alten Zeiten«, sagte Vickery. »Scheiße, ey, es waren auch gute alte Zeiten, stimmt’s?«
Sie tranken, stellten die Gläser auf den Tresenläufer. Die Kneipe lag im Keller eines Bürogebäudes, es roch nach bepissten Kampferkugeln, ausgasendem Nylonteppich, den Ängsten gescheiterter Handelsvertreter.
»Denkst du gerade daran?«, fragte Vickery.
»Na klar. An die guten Zeiten.«
Villani dachte oft an die Hetze, daran, wie es war, jung zu sein, unzerstörbar, dumm. Für ihn waren es nie die guten Zeiten.
»Du hast uns gefehlt«, sagte Vickery. »Ein solider Typ fehlt einem immer. Ein verlässlicher Typ. Ein Typ, der einen Witz mag.«
Vickery und ein Cop namens Gary Plaice hatten einen unfähigen kleinen Räuber namens Ivanovich fast getötet, sie sagten, er habe sich losgerissen, sei gestolpert und eine Treppe runtergefallen.
»Dieser Abschaum kann daraus die Lehre ziehen«, sagte der Chef, Matt Cameron, »dass man so wenig zwischen Vick und Plaice geraten sollte wie zwischen Hammer und Amboss.«
Villani wusste, was Vickery meinte. »Heute sind die Witze anders«, sagte er.
»Oakleigh, wenn das kein Witz ist. Ein Glück, dass wir das los sind. Hör zu, ich will dich nicht aufhalten. Ich bin hier, weil wir ’ne Geschichte gehört haben.«
»Ach ja?«
»Hm-m.« Vickerys Zunge schob seine Oberlippe vor, wischte ein paarmal unter dem Gaumen hin und her. »Lovett hat den Löffel abgegeben, schon gehört? Lungenkrebs.«
»Hab’s gehört«, sagte Villani. Er hatte das nicht als Verlust empfunden, ohne Alan Arthur Lovett war jedes Morgengrauen lichter.
»Ich bin auch nicht vor Trauer aus den Latschen gekippt«, sagte Vickery. »Aber er ist auf ’nem Video, hustend und spuckend, und das Arschloch sagt, wir hätten den kleinen Quirk, diesen Mistkerl, plattgemacht.«
»Wieso sollte er das sagen?«, fragte Villani.
Vickery betrachte ihn lange. »Tja, also, die Drogen machen einem das Hirn kaputt, mein Schwager, auch so ein Wichser, der hat allen möglichen Mist behauptet, Inzest, was einem so einfällt. Das Super K ist schuld.«
»Wann wurde es gemacht?«
»Was?«
»Das Video?«
»Keine Ahnung. Was spielt das für eine Rolle?«
»Könnte eine große Rolle spielen.«
Vickery drehte dem Tresen den Rücken zu, Glas in der Hand, sah sich in dem Kellerloch um. »Wie auch immer, das Problem dabei ist die Gattin, diese verfluchte Grace hat zu Gott gefunden, Scheißtraumwelt, und sie hat das Video der Staatsanwaltschaft geschickt.«
Ein Mann mit schmalem Gesicht am anderen Ende der Bar hustete und hustete, hörte gar nicht wieder auf, es war ein Elend, er senkte den Kopf und spie etwas in seine hohle Hand.
»Erledigt«, sagte Vickery. »Noch ein Wichser auf Lovetts Spuren. Mein Informant sagt, es gebe eine zweite gerichtliche Untersuchung. Und manche Leute seien ganz versessen darauf, dass wir untergehen. Wir müssen uns also gewisse Schritte überlegen.«
Er schaute in sein Glas. »Ein kommender Mann wie du, du könntest das an den richtigen Stellen zur Sprache bringen.«
»Da bin ich mir nicht sicher«, sagte Villani.
Vickery drehte sich so, dass er im rechten Winkel zu Villani saß; er war genauso groß, schwerer, sein Oberkörper steckte in frostig blauem Polyester wie in einer Wurstpelle.
»Mann, Mann«, sagte er. »Damit das klar ist: Dank dieses irren Arschlochs könnten wir als Mörder, Meineidige und ewige Schande für die ganze Polizei in die Geschichte eingehen. «
In Träumen sah Villani immer die Feuertreppe, die grauen Plastikfliesen in der Küche, verdreckt, abblätternd, das Blut, an der Zimmerdecke, an den Wänden, auf den Fensterscheiben, wie Tropfen grellroten Sirups auf dem Teppich. Nie sah er Greg Quirks Gesicht, nie die weggeschossene Kehle, nie sah er das Gesicht des Sterbenden.
»Mal sehen, was ich machen kann«, sagte er und trank sein Bier aus.
Vickery stieß einen gepressten nasalen Laut aus. »Stevo«, sagte er, »wenn wir hier nichts auf die
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