Wakolda (German Edition)
berichtete und erläuterte, es sei ihm gelungen, diese auf Wunsch Zwillingskälber gebären zu lassen. Geflissentlich ließ er aus, dass man sich am Forschungsinstitut gewünscht hatte, Frauen sollten systematisch Zwillinge zur Welt bringen, damit die Verbreitung ihrer Rasse sich doppelt so schnell vollzöge. Ebenso wenig erwähnte er, dass er in einem Anfall von Optimismus geschworen hatte, er könne die Dauer von Schwangerschaften auf hundertfünfunddreißig Tage reduzieren. Sein mit Nachdruck vorgetragener Bericht überzeugte den Tierarzt schließlich davon, dass zwei identische Tiere ein ausgesuchtes Beobachtungsfeld für die Reproduktion bestimmter körperlicher Eigenschaften oder Fehlbildungen boten. Nach jahrelangen Vergleichsstudien an Kälbern, bei denen er stets eines als Kontrolltier benutzte, hatte er herausgefunden, welche Eigenschaften und Schwächen genetisch vererbt und welche davon durch die Umwelt begünstigt wurden. Argentinien war der ideale Ort, um seine Studien zu vertiefen; womöglich konnte er hier den Schlüssel zur Mehrlingsträchtigkeit finden und so zur schnelleren Vermehrung des Rindergeschlechts beitragen. Betäubt von seinem Informationsschwall, ließ ihn der kaum des Deutschen mächtige Tierarzt schließlich den Zoll passieren, ohne ihm die Arbeitsproben abzunehmen. Das Chaos am Hafen war zu groß, als dass man sich Sorgen um einen Arzt machen konnte, der mit einem vom Roten Kreuz ausgestellten Reisepass einreiste.
»Na, dann werden Sie hier bestimmt Ihren Spaß haben«, bemerkte ein deutschstämmiger Zollbeamter, der dem Gespräch gelauscht hatte, bevor er den Stempel in den Pass setzte. »Wegen der Rinder, meine ich.«
»Gibt’s denn hier viele?«
»Millionen.«
»Tatsächlich?«
»Und Sie können sie wirklich dazu bringen, dass sie zwei Kälber auf einmal gebären?«
»Alles ist möglich.«
»Dann könnten wir ja die ganze Welt ernähren.«
Er hatte gelächelt und sich seinen Weg durch die Menge der Neuankömmlinge gebahnt. Und dann hatte er, untergebracht in einem Hotel im Stadtteil Palermo, mit der gleichen vornehmen Diskretion, die seine alten Gefährten an den Tag legten, wenn sie vergaßen, ihn während der Gerichtsprozesse zu erwähnen, aufgehört, von seinem Leben zu sprechen. Wozu etwas erzählen, wo man ihn doch ohnehin für tot hielt? Er hatte versucht, sich in Nichts aufzulösen, niemals war er der Versuchung erlegen, in seiner Wachsamkeit nachzulassen. Und er war sogar so weit gegangen, jeden Kontakt zu seinem Sohn einzustellen. Das einzige Mal, dass sie sich gesehen hatten, bevor er sich nach Übersee absetzte, wies er sein engstes Umfeld, das den Besuch organisierte, an, man möge dem Kind erklären, es sei Onkel Fritz und nicht sein Vater, der ihn von der Schule abholen werde. Aus Argentinien schickte er ihm weder Briefe noch Telegramme. Sein Überleben hing von seiner Disziplin ab. Nach wenigen Monaten hatte er sich in einem Haus in Olivos eingerichtet, er bewohnte ein Zimmer zur Untermiete und ließ sich per Brief von der Mutter seines Sohnes scheiden, die sich geweigert hatte, ihm zu folgen. Sie war eine derjenigen Personen gewesen, die seine Erfolge als Gräueltaten bezeichnet hatten.
Von allem Ballast befreit, fand er, es gebe nun keinen Grund mehr zurückzukehren.
Kein anderes Land würde einen Mann wie ihn mit derart offenen Armen empfangen. In gerade einmal zwei Jahren hatte er sich in einem pharmazeutischen Unternehmen hochgearbeitet, sich ein zweistöckiges Haus in Vicente López gekauft und die Witwe seines Bruders geheiratet (so konnte er ein Millionenerbe verdoppeln), und er gönnte es sich sogar, seinen richtigen Namen im Telefonbuch eintragen zu lassen. Sich unter ein Chirurgenmesser zu legen und einen anderen Namen anzunehmen, wie es viele andere taten, war gar nicht nötig.
Doch die Illusion eines neuen Lebens währte nicht lange: Bei jeder Zusammenkunft unter Deutschen machte man ihn darauf aufmerksam, dass ihm die Häscher immer dichter auf den Fersen waren. Hundertmal hatte er sich gefragt, wie es nach der Niederlage weitergehen würde. Die Überlebenden waren an allen möglichen Enden der Welt untergetaucht und wurden wie Verbrecher verfolgt. Er spürte die Schlinge um seinen Hals, mit der so viele gehängt worden waren, so viele, die wie wilde Tiere gejagt, mitten in der Nacht verschleppt, auf der anderen Seite des Ozeans für schuldig erklärt und verurteilt worden waren, bevor man sie massakrierte. Das Schlimmste war, dass niemand
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