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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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nie war ihm ein unvollkommener Körper derart unwiderstehlich erschienen. Sie lief direkt an ihm vorbei, hielt nicht inne, doch als sie kaum noch ein Meter trennte, wandte sie den Kopf zu ihm hin, blickte ihm in die Augen und streckte ihm die Zunge heraus.
    Es ist der Mund
, fuhr es ihm durch den Kopf.
    Der Mund des Mädchens war besonders unproportioniert, die Lippen schienen jemand doppelt so Großem zu gehören, dazu Hasenzähne, alles feucht und warm. Der Flug einer Payana durchschnitt ihre Blickachsen, trennte sie voneinander. Er wollte den beiden Geschwistern nachgehen, doch eine weitere Frage hielt ihn auf:
    »Wollen Sie morgen weiterfahren?«
    Er bejahte, ohne den Blick von den zwei blonden Körpern zu wenden, die eben hinter einer schlecht beleuchteten Häuserzeile verschwanden. Ein Ideal und sein groteskes Zerrbild, von ein und demselben Leib geboren.
    »Warten Sie lieber einen Tag ab. Hören Sie auf mich. Es gibt nämlich Regen.«
    »Regen? … Hier?«
    »Fragen Sie im Ort nach, wenn Sie mir nicht glauben.«
    An diesem Abend sprach er jedoch mit niemandem mehr.
    Als er eine Viertelstunde später an einem Tisch in der Ecke des Gasthauses saß und eine fad schmeckende Linsensuppe löffelte, hob er kaum den Blick. Zu seiner Enttäuschung war von den blonden Kindern nichts mehr zu sehen. Die Exemplare, die hier herumliefen, waren, gemessen an dem, was er in den letzten Monaten in Buenos Aires zu Gesicht bekommen hatte, von seiner Rasse am weitesten entfernt. Dabei drohte die Rassenmischung selbst in der argentinischen Hauptstadt einen Grad zu erreichen, der kaum mehr rückgängig zu machen war. Da konnte man noch so viel Rassenhygiene durchsetzen. Auf einem der vielen Feste, zu denen er eingeladen wurde, hatte er es dem General gegenüber selbst einmal ausgesprochen:
    »Wollen Sie etwas für Ihr Land tun? Dann unterbinden Sie die Vermischung der Rassen.«
    Alles hatte gelacht. Oft hielt man seine Ratschläge für Scherze. Doch er ließ sich nicht beirren. Den meisten fehlte eben der Mut.
Gelobt sei der Glaube jener, die es wagen, das Antlitz der Erde zu erneuern, indem sie das Ideal verfolgen, dem sie anhängen
, ging es ihm durch den Kopf, auch wenn er es nicht wagte, Drieu la Rochelle in Anwesenheit des Generals zu zitieren, der bereits sein Glas erhob, um die weiteren Gäste willkommen zu heißen. Die Zähne im Champagner versenkt, murmelte er leise:
Mit dem Stolz der reifen Rassen nahmen wir in mächtigem Gehorsam den Schmerz hin, in unser Blut die Größe der Welt eindringen zu spüren
. Seit Jahren kritzelte er seine Lieblingszitate an die Seitenränder seiner Notizhefte. An diesem Abend führten ihm die Gesichter um ihn herum vor Augen, dass die Schlacht in vielen Gegenden der Welt längst verloren war. Niemand erkannte, welchen Schaden die Rassenvermischung diesem Kontinent zufügte. Und dass Schäden an Erbgut, Genen und Stammesgeschichte kaum mehr zu vermeiden waren. Dass in den Schulen stets nur von Klasse, nicht aber von Rasse gesprochen wurde … und dass das zwei Paar Schuhe waren.
    Noch vor acht lag er im Bett.
    Der Gedanke, dass er die zwei blonden Kinder womöglich nie wiedersehen würde, hielt ihn wach. Er griff nach einem seiner Hefte und notierte die Maße ihrer Körper. Er kannte sie auswendig, zögerte keinen Augenblick. Ihren Knochenbau, die Größe ihrer inneren Organe und ihrer Kieferknochen, die Zusammensetzung ihres Blutes, alles hatte er genau vor Augen. Niemals aber würde er die beiden auf eiserne Pritschen betten können, um sie miteinander zu vergleichen. Dass er sie möglicherweise überhaupt nie wieder zu Gesicht bekommen sollte, war für ihn, der für gewöhnlich bekam, wonach er verlangte, eine unerträgliche Vorstellung. Seit fast zehn Jahren lebte er nun in diesem abgelegenen Winkel der Welt, und manchmal ertappte er sich sogar dabei, dass er auf Spanisch dachte. Mit nichts als dem, was er auf dem Leib trug, war er damals aus Genua gekommen, dazu ein kleiner Koffer, in dem er seinen wertvollsten Schatz verwahrt hatte: drei Notizhefte mit den Aufzeichnungen über die Experimente seiner letzten Forschungsjahre und ein paar gläserne Objektträger mit menschlichem Blut. Ein Zollbeamter hatte wissen wollen, was es damit auf sich hatte.
    »Biologisches Dokumentationsmaterial«, hatte er auf Deutsch geantwortet.
    »Worum geht es da?«
    »Um Tierversuche.«
    Man hatte ihn festgehalten, bis der Hafentierarzt eintraf, dem er bis ins Detail von seinen Versuchen an weiblichen Rindern

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