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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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hatte er inmitten des ganzen Staubs so viel Eleganz gesehen. Alle möglichen Leute waren ihm hier schon begegnet, arme Schlucker, die ihre Armut zu verbergen suchten, und reiche Herrschaften, die vorgaben, ein Niemand zu sein. Die waren aber selten allein unterwegs.
    »Alle Fremden fürchten diese Strecke. Die Leute halten aber meistens an. Wenn irgendwo ein Auto liegenbleibt, wird angehalten. Jetzt, wo die Straße teilweise schon asphaltiert ist, wird’s ohnehin einfacher. Sie werden ja sehen, das ist kein Vergleich zu der alten Lehmstraße.«
    »Wie viel ist denn noch übrig von der alten?«
    »Mehr als die Hälfte.«
    »So viel?«
    »Der Fortschritt kommt … aber er kommt langsam. Vor allem darf man nicht nachts fahren. Wenn wir jetzt aufbrechen, sind wir am Abend da. Fahren Sie lieber vorneweg oder hinter uns her?«
    »Hinten, bitte.«
    »Dann sichern Sie also die Nachhut«, sagte der Dicke. Er war ein echter Sympathikus.
    Die ganze Zeit über hatte José gelächelt und sich nichts anmerken lassen – und doch hätte er, wenn nötig, darum gefleht und gebettelt, dass man ihn mitfahren ließ. Er erkannte sich selbst kaum wieder: Dass er eigentlich ein Feigling war, hatte er nicht gewusst – bis er aufgehört hatte, Befehle zu erteilen. Die beiden Männer gaben sich die Hand und sahen sich in die Augen, ohne zu merken, Dass die Augen nichts, ihr Händedruck jedoch alles verriet: die unerbittliche Entschlossenheit eines Mannes auf der Flucht und die naive Vertrauensseligkeit eines Familienvaters, der nicht einmal den Kakerlaken etwas zuleide tun konnte, wenn sie zu Hause aus den Ritzen hervorkrochen.
    »Wir sollten dann fahren.«
    Klar und deutlich drang Evas Stimme aus dem Auto. José beugte sich etwas hinunter, um ihr die Hand zu reichen, und sah einen entschlossenen Ausdruck in den Augen der noch sehr jungen Frau.
    »Sehr erfreut … Sie haben wirklich hübsche Kinder.«
    Eva lächelte nur stumm, als habe sie keine Zeit für Höflichkeitsfloskeln. Dann richtete sie den Blick zum Himmel, der zunehmend von Wolken verdunkelt wurde.
    »Wir müssten jetzt aber wirklich los … Haben Sie Proviant dabei?«
    Verblüfft sah José sie an: Den letzten Satz hatte Eva in einwandfreiem, akzentlosem Deutsch gesprochen. Einen Augenblick lang meinte er, er habe es sich nur eingebildet.
    »Ich habe vor einer Stunde gefrühstückt«, antwortete er.
    »Trotzdem. Sie sollten etwas mitnehmen.«
    Tatsächlich. Sie sprachen dieselbe Sprache. Und dass Eva so angespannt war, hatte nichts mit der Wetterlage zu tun, sondern damit, dass der bevorstehende Weg sie in das Haus zurückführen würde, in dem sie aufgewachsen war.
    »Woher kommt es, dass Sie …?«
    »Ich war auf einer deutschen Schule«, unterbrach sie ihn.
    »In Buenos Aires?«
    »In Bariloche.«
    Die Deutsche Schule von Bariloche, die Primo Capraro, war weit mehr gewesen als eine Schule. Selbst José hatte schon von ihr gehört.

3
    Als man ihm riet, Buenos Aires auf der Stelle zu verlassen, hatte man ihm versichert, im Süden des Landes sehe es beinahe aus wie in der deutschen Schweiz. Von Wäldern, Seen und verschneiten Bergen war die Rede.
Ihr seid nicht die Einzigen, die ordentlich aufgeräumt haben
, hieß es. Man hatte ihm von den Wilden erzählt, die einst Herrscher über dieses karge Land gewesen waren, das er nun im Schneckentempo durchquerte, den Blick fest auf die drei Blondschöpfe geheftet, die über die Lehnen der Autositze hinweg verstohlen zu ihm nach hinten schielten. Vor ihm erstreckte sich eine endlose Gerade, auf beiden Seiten des Asphalts nichts als wüste, unfruchtbare Erde. Ein Gefühl der Beklemmung machte sich in ihm breit, er spürte es ganz deutlich, wie eine Spinne, die einem das Bein heraufkrabbelt. Er würde verrückt werden an einem Ort wie diesem, wenn man ihn allein ließe und er über Stunden, Tage, Monate nichts zu tun hätte. Der Gedanke an Wasser schien ihm völlig fern inmitten dieser Einöde. Jetzt begriff er, warum sich so viele Leute weigerten, Argentinien zu durchqueren. Dass die Hälfte des Landes Wüste sein sollte, hatte er bislang für stark übertrieben gehalten.
    »Da gibt es wirklich nichts«, behaupteten sie.
    Und er hatte sich die kleinen Siedlungen und Gehöfte vorgestellt, die man in Europa fand und die so nützlich waren für den Fall, dass Exil Flucht bedeutete. Hier aber war das Nichts wirklich
nichts
. Drei kleine Hütten auf mehr als zwanzig Kilometer, ohne einen Flecken Schatten. Kein einziger Baum weit und breit,

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