Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
unserem Kloster im Jahr 1835 die Genehmigung erteilt, weiterbestehen zu dürfen. Eigentlich sollten wir nämlich 1806 aufgelöst werden.«
Morgenstern nickte vage.
»Jedenfalls sind wir dem bayerischen König seitdem zu großem Dank verpflichtet, und deswegen dürfen Sie als bayerischer Beamter nun unter seinen Augen Ihre Ermittlungen führen.«
Morgenstern sah zu dem Kreuz mit dem gemarterten Christus im Todeskampf auf. »Da bin ich ja in bester Gesellschaft.«
»Schön, gell«, sagte die Äbtissin. »Und ich bleibe erst einmal auch hier, vielleicht kann ich Ihnen ja helfen.« Sie zögerte kurz. »Aber erst möchte ich wissen, wonach Sie eigentlich suchen.«
Morgenstern erklärte die Lage so kurz wie möglich, wobei die Ordensfrau immer wieder nickte und gar nicht überrascht schien. Schließlich meinte sie: »Ich habe gerade nichts anderes vor. Wollen wir die Bücher nicht einfach gemeinsam durchgehen? Dann geht es schneller.« Und schon nahm sie sich ein Buch aus dem Stapel und begann zu blättern.
» Z.W. «, sagte sie freudig, »da haben wir sie ja schon. Im August 1992.«
Morgenstern beugte sich quer über den Tisch. »Und? Was schreibt sie?«
»Heilige Walburga! Die nächste Generation. Endlich! Hab vielen Dank. Z.W. « Die Äbtissin überlegte kurz. »Da ist sie wohl Großmutter geworden. Und es scheint, als ob sie lange darauf hätte warten müssen. Schön, dass sie da an unsere heilige Walburga denkt.«
Neugierig blätterte sie weiter. »Im Herbst war sie auch noch einige Male da. Sie selbst schreibt zwar kein Datum dazu, aber die anderen ringsum tun es, und manche haben auch den Wochentag dazu geschrieben. Freitag.«
Sie suchte nach den nächsten Einträgen der unbekannten Frau, und nach kurzer Zeit war sie sich sicher: »Sie kommt einmal im Monat hierher. Immer am ersten Freitag im Monat.«
»Ist da irgendwas Besonderes?«, fragte Morgenstern.
»Für Sie wahrscheinlich nicht, Herr Kommissar«, die Äbtissin schmunzelte, »aber für gewissenhafte Katholiken ist das der Herz-Jesu-Freitag.«
»Aha«, sagte Morgenstern. »Und was ist da, an diesem sogenannten Herz-Jesus-Freitag?«
»Abends wird hier in der Kirche eine Herz-Jesu-Andacht gehalten – wie in den meisten anderen Kirchen übrigens auch.«
»Dann kommt sie also immer zu dieser Andacht. Wie viele Leute sind da normalerweise?«
»Ach, es werden immer weniger, leider«, meinte die Äbtissin. »Aber eigentlich geht mich das nichts an. Das ist Sache der Pfarrei hier. Ich und mein Konvent, wir feiern diese Andacht selbstverständlich in unserer eigenen Hauskapelle hier im Kloster.«
Mit der neu entdeckten Systematik war es ein Leichtes, die Anliegenbücher zu durchforsten. Tatsächlich waren es meist nur zwölf Einträge im Jahr, immer am ersten Freitag eines Monats. Nur ganz selten war die Besucherin von diesem Rhythmus abgewichen und hatte sich mit einer zusätzlichen Bitte zu Wort gemeldet. Meist ging es um Gesundheitliches, aber das war nicht das Entscheidende, wie die Äbtissin bald feststellte.
»Also, richtig sympathisch wird mir diese Person nicht. Da kann sie zum heiligsten Herzen Jesu oder zu unserer heiligen Walburga beten, so viel sie will.«
Als Morgenstern sie erstaunt anblickte, meinte sie schmunzelnd: »Ich darf das sagen.« Dann fügte sie hinzu: »Ich kann es nicht recht erklären, aber unterschwellig spüre ich in allen Einträgen so eine seltsame Bitterkeit, einen Groll gegen die ganze Welt. Finden Sie nicht auch?«
Morgenstern nickte. »Vielleicht liegt es an den Knieschmerzen?«
»Das glaube ich nicht«, sagte die Äbtissin. »Sehen Sie doch mal, hier schreibt sie: ›Ich sollte altersmilde werden, aber ich kann nicht und ich will nicht. Da müsste mein Hirn schon verkalken, damit ich vergebe und vergesse.‹«
»Von wann ist das?«
»Das ist, warten Sie mal – Frühling 2005.«
Morgenstern zog seinen kleinen schmalen Block und einen Bleistift aus der Brusttasche seiner Jeansjacke und notierte sich das Datum und den Eintrag.
»Diese Frau hat irgendein Unrecht erlitten, zumindest glaubt sie, dass es ein Unrecht war. Bloß: Was könnte das gewesen sein? Etwas, das sie offenbar über viele Jahre verfolgt. Und über das sie anscheinend mit niemandem reden will«, sagte Morgenstern nachdenklich.
»Und sie gibt sich große Mühe, einem zufälligen Leser unseres Anliegenbuchs nicht zu offenbaren, worum es geht«, ergänzte die Äbtissin. »Die Frau spricht in Rätseln und seltsamen Andeutungen.«
Morgenstern
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