Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
Leben verloren.
Fiona, sonst eigentlich nicht sehr fromm, bekreuzigte sich. Und Morgenstern schüttelte nachdenklich den Kopf, sah die Höhle nun mit anderen Augen. »Britische Kriegsgefangene hier in Eichstätt«, sagte er. »Das muss man sich mal vorstellen: Der Krieg ist fast schon vorbei, und dann wirst du hier neben diesen Höhlen erschossen.«
»Warum wurden die erschossen?«, fragte Bastian in einer Mischung aus Betroffenheit und kindlicher Neugier.
»Schwer zu sagen«, wich Morgenstern aus. »Es war halt Krieg.« Und fügte dann hinzu: »Für heute habe ich jedenfalls genug von Krieg und Gewalt.« Er blickte nach Westen, wo der Gewitterfront ein spektakuläres Abendrot gefolgt war. »Jetzt fahren wir nach Hause. Wir brauchen alle trockene Klamotten. Sonst holen wir uns hier noch …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende.
SAMSTAG
Am nächsten Morgen klingelte Morgenstern um halb neun an der Klosterpforte. Er hatte sich um eine halbe Stunde verspätet, aber es war Wochenende, an dem alle Welt ausschlafen durfte – so kam es ihm zumindest vor. Also hatte er erst ausführlich gefrühstückt, dann ebenso gemächlich in der Zeitung geblättert und schließlich auch noch das Kreuzworträtsel gelöst.
»Hast wohl keine Lust aufs Kloster?«, sagte Fiona schließlich.
»Es hilft nichts«, antwortete Morgenstern. »Ich muss zum Kloster und mich durch ein paar von diesen Wunschbüchern lesen. Wird nicht lange dauern. Ich habe heute Nacht nachgedacht und weiß gar nicht mehr recht, was das überhaupt noch soll. Die alte Frau verhält sich zwar ziemlich seltsam. Aber wir haben den Wilderer gefasst. Wir brauchen nur noch sein Geständnis. Seine Mordwaffe würde mir auch schon reichen, damit gewinnen wir jeden Indizienprozess.«
Nach mehreren herrlichen Spätsommertagen war nun ausgerechnet das Wochenende kühl, regnerisch und trübe geworden. Ein leichter Sprühregen ließ Morgenstern frösteln. Er machte einen kleinen Abstecher über den Eichstätter Marktplatz, auf dem wie jeden Samstag ein farbenfroher Wochenmarkt aufgebaut war. Kartoffelhändler und Gemüseverkäufer drängten sich dicht an dicht, Blumen, Eier, Honig und Oliven wurden angeboten, überall stand die Kundschaft an. Morgenstern kaufte sich an einem Obststand drei Äpfel und schlenderte weiter. Er trödelte, stellte er selbstkritisch fest, und es stimmte: Er hatte keine Lust, in irgendeiner dumpfen Klosterzelle in alten Heften zu blättern. Übellaunig trottete er durch den Sprühregen zum Kloster.
An der Pforte wartete dieselbe Nonne wie am Vortag auf Besuch. »Wollten Sie nicht eigentlich um acht Uhr kommen?«, fragte sie leicht tadelnd.
»Mir ist etwas dazwischengekommen«, brummte Morgenstern, der sich in den Klostermauern ohne Hechts Begleitung unwohl fühlte. Dabei war er nicht der einzige Gast hier: Gleich um die Ecke befand sich ein Frühstücksraum für Touristen, denn das Kloster hatte sich seit einigen Jahren auf die Vermietung von Zimmern an Feriengäste spezialisiert und dafür eigens ein barockes Nebengebäude renoviert. Im ganzen Gang duftete es nach frisch gebackenen Brötchen und Kaffee.
Eine Tür öffnete sich, und eine kleine, rundliche Nonne mit fröhlich blitzenden Augen und einem großen Kreuz auf der Brust kam heraus.
»Soso, Sie sind also der Kommissar, der hier unsere Anliegenbücher einsehen will«, sagte sie lächelnd und reichte ihm die Hand. »Ich bin Mutter Apollonia, die Äbtissin.«
Morgenstern war erleichtert. Er hatte mit einer strengen, unnahbaren Person gerechnet. Um genau zu sein, hatte er an die autoritäre Nonne aus dem Film »Blues Brothers« gedacht, von der die Galgenvögel Jake und Elwood Blues den Befehl erhalten, das Geld für die Rettung ihres Waisenhauses zusammenzubringen.
Die Äbtissin schob ihn durch die Eichentür in das Besprechungszimmer. »Wir haben die Bücher für Sie vorbereitet, die letzten zwanzig Jahre. Hier können Sie es sich bequem machen.« Sie wies ihm einen mit feinen Schnitzereien versehenen Lehnstuhl mit filigran geflochtener Sitz- und Rückenfläche zu, offenbar eine echte Antiquität. Sie selbst nahm auf einem schlichteren Stuhl ihm gegenüber Platz. Der Besprechungstisch, auf dem die Bücher aufgestapelt waren, war ebenfalls ein antikes Stück. An der einen Wand hing ein großes Kreuz, daneben ein gerahmtes Gemälde, das einen Mann mit Kinnbart zeigte.
Mutter Apollonia deutet auf das Bild. »Das ist König Ludwig, nicht der Märchenkönig, sondern Ludwig der Erste. Er hat
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