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Walburgisöl - Oberbayern-Krimi

Walburgisöl - Oberbayern-Krimi

Titel: Walburgisöl - Oberbayern-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Eltern dabei ums Leben gekommen waren. Erst war er wie von Sinnen und wollte sofort nach Hamburg, dann aber sagte er, er werde nie mehr in seine Heimatstadt zurückkehren. Wir beschlossen, zusammenzubleiben. Wir wollten gemeinsam ein neues Leben anfangen, hier in Eichstätt. Wenn nur erst dieser furchtbare, sinnlose, längst verlorene Krieg zu Ende wäre.«
    »Es waren aber noch ein paar Wochen«, half Morgenstern.
    »Ein paar Wochen erst, dann nur noch ein paar Tage, und es wurde immer klarer, dass Henning mit ein bisschen Glück nicht mehr an die Front musste. Eigentlich war er ein Invalide. Und die Ärzte hatten auch immer weniger Bedürfnis, ihren Patienten erst das Leben zu retten und sie danach direkt ins Feuer zu schicken. Jeder bereitete sich schon auf die Zeit nach dem Krieg vor.«
    »Und Sie?«, fragte Morgenstern. »Wohnten Sie damals schon am Frauenberg?«
    »Ja, zusammen mit meinen Eltern. Sie wussten nichts von Henning, und das aus gutem Grund. Sie hätten ihn nicht gemocht, uns nie ihren Segen gegeben. Ich sagte ja, dass er aus Hamburg kam.«
    »Ja und?«, sagte Hecht. »Wir Bayern sind doch ein weltoffener Menschenschlag.«
    »Er war evangelisch. Ein Lutherischer.«
    Sie machte eine kurze Pause und blickte gedankenverloren zur Altstadt, zu den Doppeltürmen des Doms. »Wir hätten das schon hinbekommen, da bin ich mir ganz sicher. Es gibt genug Lutherische in Eichstätt, aber eine Ehe zwischen den Konfessionen war damals nicht üblich. Fast unmöglich. Ich habe daheim also sicherheitshalber meinen Mund gehalten. Und ansonsten haben wir es auch so geheim gehalten, wie es nur ging.«
    »Henning musste also nicht mehr an die Front?«, fragte Hecht. »Auch nicht zum Volkssturm, zum letzten Aufgebot? Da mussten doch am Ende sogar die alten Männer und die Gymnasiasten noch zu den Waffen. Gibt’s da nicht diesen Film: ›Die Brücke‹?«
    Walburga Zinsmeister schüttelte den Kopf. »Nein, er schlüpfte irgendwie durch die Maschen, und das, obwohl er sich frei in der Stadt bewegte, wenn auch etwas hinkend wegen seines Knies. Und da hat er dann die anderen kennengelernt.«
    Morgenstern wurde hellhörig. »Welche anderen?«
    »Andere Soldaten, andere Männer. Er wollte raus aus dem Lazarett. Der Winter war vorbei. Es wurde Frühling. Und die Amerikaner waren ganz nahe. Es konnte sich nur noch um ein paar Tage handeln.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hätte ihn festhalten müssen. Einsperren. Von allem fernhalten. Das hätte ich tun müssen.«
    »Männer lassen sich nicht einsperren«, gab Hecht sanft zu bedenken.
    »Und ein Mann wie Henning erst recht nicht«, nickte die alte Frau. »Ich erinnere mich noch ganz genau an den Nachmittag, als er von einem seiner Spaziergänge zurückkam und erzählte, was er erfahren hatte. ›Stell dir vor‹, sagte er. ›Die SS will morgen früh die Brücke über die Altmühl sprengen, bevor die Amis kommen.‹ – ›Die Spitalbrücke?‹, fragte ich zurück. ›Ja, sie haben angeblich schon eine große Fliegerbombe neben den Pfeiler montiert. Morgen früh wird sie gezündet. Oder auch nicht.‹ Er hatte einen so sonderbaren Blick damals, so entschlossen, dass ich mich nicht zu fragen traute, was er mit diesem ›Oder auch nicht‹ meinte.« Sie hielt kurz inne, dann sagte sie tonlos: »Das habe ich erst erfahren, als es schon zu spät war.«
    Ganz sanft und langsam bremste das gewaltige Fahrgeschäft ab und hielt schließlich an, als ihre Gondel den Boden erreicht hatte.
    »Wir fahren noch weiter«, rief Morgenstern dem wartenden Mitarbeiter zu. »Ich zahle dann hinterher.«
    Der junge Mann gab dem Chef an der Kasse einen kurzen Wink, und weil keine anderen Passagiere in Sicht waren, setzte sich das Riesenrad wieder in Bewegung.
    »Was ist dann passiert?«, fragte Hecht und beugte sich dicht zu der alten Frau.
    »Und woher stammt das Gewehr?«, setzte Morgenstern nach, doch Walburga Zinsmeister erzählte weiter, als hätte sie die Fragen nicht gehört.
    »Er muss sich in der Nacht aus dem Lazarett geschlichen haben, heimlich, um sich mit seinen neuen Freunden zu treffen. Sie sind zur Brücke gegangen und haben die Sprengkabel durchgeschnitten, die zu dieser Bombe führten. Sie wollten nicht hinnehmen, dass mitten in der Stadt, direkt neben dem Dom, alles zerstört wurde in den letzten Tagen dieses Krieges.«
    »Ziemlich gefährlich«, sagte Hecht.
    »Lebensgefährlich«, bestätigte die alte Frau. »Verrückt, tollkühn, heldenhaft, ganz wie Sie wollen. Auf der

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