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Walburgisöl - Oberbayern-Krimi

Walburgisöl - Oberbayern-Krimi

Titel: Walburgisöl - Oberbayern-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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belauscht wurden und dass dann die SS kam.« Er hielt kurz inne, dann fragte er: »Weiß man, wer die drei bei der SS hingehängt hat?« Erst zu spät fiel ihm offenbar auf, wie unpassend das Wort »hingehängt« in diesem Zusammenhang war, denn er verbesserte sich rasch: »Ich meine, wer sie verpfiffen hat?«
    Hecht und Morgenstern wussten die Antwort bereits, und Walburga Zinsmeister sah ihnen an, dass sie es wussten.
    »Sie liegen richtig«, sagte sie schließlich. »In einer kleinen Stadt wie der unsrigen können solche Dinge nicht geheim bleiben. Man wusste, wer zur gleichen Zeit im Wirtshaus war, man sah, wer zur Willibaldsburg hinauflief, wer bei der SS an die Tür klopfte. Wer Bescheid wissen wollte, der konnte es damals erfahren.«
    »Matthias Schreiber hat Ihren Freund an die SS verraten«, fasste Morgenstern zusammen. »Und Sie haben es über die ganzen langen Jahre gewusst.«
    »Ja, ich habe es gewusst, und ich habe gesehen, wie gut es ihm ergangen ist in all dieser Zeit. Wie er feist wurde und reich und angesehen. Ein erfolgreicher Geschäftsmann.«
    »Haben Sie ihn jemals darauf angesprochen?«, fragte Morgenstern.
    Walburga Zinsmeister schüttelte den Kopf. »Nein, was hätte das schon bewirkt? Er hätte alles abgestritten, hätte mich vielleicht wegen Verleumdung angezeigt. Er hätte mich zermalmt.«
    »Wer außer Ihnen kannte den Verräter?«, fragte Hecht. »Haben Sie es jemals Ihrem Sohn Gottfried erzählt?«
    Wieder schüttelte sie ihren grauhaarigen Kopf. »Nein. Gottfried weiß nicht einmal, wer sein Vater ist. Ich habe es nie über mich gebracht, es ihm zu erzählen. Und irgendwann hat er nicht mehr danach gefragt. Er hat sowieso nicht viel gefragt. Gottfried war immer sehr in sich gekehrt. Er ist noch heute so.«
    Morgenstern konnte sich das gut vorstellen: Bei einer so verhärmten Mutter aufzuwachsen, in einem Haus ohne Freude und voller unausgesprochener, verdrängter Dinge, daraus konnte kein heiteres Gemüt entstehen. »Wusste Gottfried etwas von dem Gewehr? Hat er es irgendwann entdeckt und heimlich mitgenommen?«, fragte er.
    »Nein.«
    »Haben Sie es ihm gegeben, Frau Zinsmeister?«, beharrte Morgenstern. »Haben Sie ihm jetzt erst von seinem Vater erzählt? Jetzt, wo er schon ins Rentenalter gekommen ist? Er muss doch inzwischen über sechzig sein.«
    »Nein. Er weiß nichts.«
    »Frau Zinsmeister, wer hat Matthias Schreiber mit Ihrem Gewehr erschossen?«, fragte Hecht eindringlich. »Wer hat Ihren Henning so spät gerächt?«
    Die alte Frau überlegte lange, und immer noch drehte sich das Riesenrad mit seinen schimmernden Gondeln, unerbittlich wie der Lauf der Zeit.
    »Ich«, sagte sie schließlich zu Hecht gewandt und deutete auf seinen Notizblock. »Ich habe geschossen.«
    »Sie!«, sagten Hecht und Morgenstern wie aus einem Mund.
    »Ja, ich.« Als sie die ungläubigen Blicke der beiden Kommissare sah, fügte sie hinzu: »Glauben Sie nur nicht, dass ich das nicht könnte, dass ich zu alt dazu bin mit meinen fünfundachtzig Jahren. Ich habe Ihnen erzählt, dass ich lange im Staatsforst gearbeitet habe. Da kommt man ganz automatisch mit den Förstern in Kontakt. Ich kannte da einen, lange her, der mich immer wieder auf die Jagd mitgenommen hat. Er hatte sich ein bisschen in mich verguckt, und ich durfte ein paarmal mit seiner Waffe schießen. Ich treffe gut, so etwas verlernt man nicht.«
    Unvermittelt stand Walburga Zinsmeister auf in der leicht schwankenden Gondel mit ihrer niedrigen Brüstung, zweiunddreißig Meter hoch über dem Volksfestplatz mit seinen fröhlichen, unbeschwerten Menschen, zu denen sie nie ganz gehört hatte mit ihrem einsamen Leid und ihrem hartnäckig geheim gehaltenen Schicksal. »Dann wissen Sie jetzt ja alles, was Sie wissen müssen«, sagte sie, und es klang wie ein Abschied in schwindelnder Höhe.
    Morgenstern erkannte als Erster die Gefahr. Er sprang von der runden Sitzbank auf wie ein Schachtelteufel, sodass die kleine Gondel bedenklich ins Schaukeln kam, packte Walburga Zinsmeister an beiden Schultern und drückte sie auf ihren Platz zurück.
    »Machen Sie das nicht«, sagte er beschwichtigend. »Alles wird wieder gut, glauben Sie mir«, setzte er unbeholfen hinzu.
    »Lassen Sie mich los!«, sagte Walburga Zinsmeister barsch und atmete tief ein und aus.
    Morgenstern setzte sich dicht neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter, damit sie nicht noch einmal aufstehen konnte. Von der Ferne hätte man sie für Mutter und Sohn in liebevoller Umarmung

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