Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
gegeben. Ich wollte mit diesem Namen wohl Gottes Frieden erbitten, für das Kind und auch für mich.«
»Und, haben Sie Frieden gefunden?«, fragte Morgenstern, obwohl er die Antwort schon aus den Anliegenbüchern aus der Gruft der heiligen Walburga kannte.
»Nein, für Menschen wie mich gibt es keinen Frieden. Erst den ewigen Frieden. Es fing schon mit Gottfrieds Taufe an. Ein uneheliches Kind! Außerdem wollte ich den Vater des Kindes nicht benennen. Der Pfarrer hat mich fast beschimpft und Gottfried ein Kind der Sünde genannt. Auch meine Eltern haben es mir nicht leicht gemacht, aber ich habe es durchgestanden.«
»Aber Sie hätten den Vater doch ohne Weiteres nennen können?«, wunderte sich Hecht. »Ihr Henning war doch jetzt ein Held.« Als er den sonderbaren, fast belustigten Blick von Walburga Zinsmeister sah, fragte er erstaunt: »Oder etwa nicht?«
»Ein Held!« Sie lachte bitter auf. »Nein. Sie wurden keine Helden. Auch später nicht. Niemand hat über sie gesprochen. Jahrzehntelang nicht. Sie galten immer noch als Saboteure. Als Verräter. So wie Deserteure, die ihre Waffe wegwerfen. Kennen Sie irgendwo in Deutschland ein Denkmal für Deserteure? Sehen Sie«, sagte die alte Frau, als Morgenstern und Hecht betreten schwiegen.
»Aber es gibt hier in der Stadt doch bestimmt eine Tafel, die an diese Sache erinnert?«, fragte Hecht.
Walburga Zinsmeister schüttelte den Kopf. »Ein einziges Mal, in den achtziger Jahren, wurde ein Antrag im Stadtrat gestellt. Sie haben ihn abgelehnt. Er kam wohl von der falschen Partei, von den Grünen.«
»Aber wieso? Dafür muss es doch eine Begründung gegeben haben«, forschte Morgenstern nach.
»Die Leute wollten einfach ihre Ruhe haben. Nicht immer diese alten Geschichten aufwärmen. Am Ende hieß es: ›Eigentlich waren wir alle Opfer.‹ Die Männer draußen an der Front, die Frauen, die in den Bombennächten im Keller saßen, die Flüchtlinge, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren … überall Opfer, überall Helden. Man wollte niemanden besonders hervorheben, wenn Sie verstehen.«
»Nein, ich verstehe nicht.« Morgenstern schüttelte energisch den Kopf. »Die Leute müssen das irgendwie missverstanden haben.«
»Da liegen Sie falsch, Herr Kommissar. Es ist überall dasselbe. Überall in Bayern, überall in Deutschland. Es gab vor dem Einmarsch der Amerikaner auch anderswo solche Vorgänge wie in Eichstätt. Männer, die die weiße Fahne aus dem Kirchturm gehängt haben, um ihre Ortschaften kampflos zu übergeben, und deswegen erschossen wurden. Soldaten, die die letzten uneinsichtigen Nazis ins Feuerwehrhaus gesperrt haben und dafür mit ihrem Leben bezahlten. Und erst jetzt, viele Jahrzehnte später, erinnert man sich ganz vereinzelt an diese Menschen. Und selbst das nicht überall.«
»Ich kapiere das immer noch nicht«, sagte Morgenstern. »Was hat man gegen diese Leute?«
»Sie erinnern die Menschen daran, was möglich gewesen wäre, wenn es mehr von ihrer Sorte gegeben hätte«, sagte Walburga Zinsmeister. »Aber es waren zu wenige. Und die Mehrheit zuckt bis heute mit den Schultern und sagt: selbst schuld. Es war halt Krieg, und im Krieg hält man den Kopf immer schön unten, sonst wird er einem weggeschossen.«
»Sie meinen, die Leute halten Zivilcourage für Dummheit?«, fragte Morgenstern.
»So ist es. Sehen Sie sich doch einmal um, gehen Sie noch mal rein ins Bierzelt und schauen Sie sich die Leute an. Die schweigende Mehrheit, die nur ihren Frieden will. Das sind alles Menschen, die ein gutes Gewissen und einen guten Schlaf haben.«
»Aber Sie, Frau Zinsmeister, Sie schlafen schlecht. Und Sie haben ein funktionstüchtiges Gewehr«, sagte Morgenstern leise. »Und Sie haben noch eine alte Rechnung offen, haben Sie mir gesagt. Was ist das für eine Rechnung?«
Es blieb lange still.
Schließlich brach Morgenstern das Schweigen. »Matthias Schreiber war damals zu jung, um in den Krieg zu ziehen. Er war noch ein Jugendlicher, ein halbwüchsiger Hitlerjunge. Ich kann ihn mir gut vorstellen, ein eifriger, neugieriger Bursche, der mit seinen Freunden in der Stadt herumstromert. Und der Dinge hört, die er nicht hören soll. War es vielleicht so, Frau Zinsmeister?«
Walburga Zinsmeister schwieg, dann nickte sie langsam.
Hecht blätterte in seinen Notizen, dann sagte er: »Sie haben vorhin etwas Interessantes gesagt. Sie haben von dem tödlichen Fehler, nennen wir es mal so, der drei Saboteure erzählt. Sie haben uns erzählt, dass sie
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