Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
besitzt vermutlich so eine Waffe. Ich frage mich nur, was unser Wilderer Erwin Zachinger damit zu tun hat.«
Diese Frage hatte sich Morgenstern auch schon gestellt und war zu dem beunruhigenden Ergebnis gekommen, dass Zachinger vielleicht die Wahrheit gesagt hatte und folglich zu Unrecht in Untersuchungshaft saß.
Das Bierzelt war besetzt von etwa fünfhundert Menschen. Alles Senioren, wie Morgenstern mit einem Blick in die Runde feststellte.
»Wie willst du Frau Zinsmeister hier befragen?«, fragte Hecht laut, um die bayrische Blasmusik der Kapelle zu übertönen. »Wir können uns schlecht an ihren Tisch setzen und fragen, ob sie ihre Notdurft bis vor ein paar Tagen direkt neben einem alten, gut versteckten Schießprügel verrichtet hat.«
»Weiß auch nicht«, schrie Morgenstern zurück. »Wir schauen erst einmal, wo sie überhaupt steckt.«
Wie von Walburga Zinsmeister angekündigt, waren die Wiesnkönigin mit ihrem Buchsbaumkrönchen und das Stadtoberhaupt vollauf damit beschäftigt, die Brotzeiten an ihre betagten Untertanen auszugeben. Es wurde gelacht und gescherzt, und überhaupt schien die ganze Veranstaltung für die alten Leute einer der Höhepunkte des Jahres zu sein. Wenn Morgenstern an die Qualität des Mittagsmahls im Hause Zinsmeister dachte, schien ihm das nur gerechtfertigt. Das Festbier kam hier jedenfalls nicht aus der Plastikflasche, sondern aus einem echten Holzfass. Nun ja, beinahe zumindest. Morgenstern hatte nämlich schon ganz zu Beginn des Volksfests festgestellt, dass das zünftig-nostalgische Fass durch eine dicke Leitung mit einem gut gekühlten, funktionalen Edelstahlcontainer verbunden war, der direkt hinter dem Festzelt auf einem Lastwagenanhänger der Brauerei stand.
Konzentriert hielt Morgenstern nach Walburga Zinsmeister Ausschau, was aber gar nicht so einfach war. Neben den Volksfestorganisatoren gingen noch etliche sonstige Helfer und außerdem ein Reporter der Lokalzeitung durch die Tischreihen. Offenbar waren beide Eichstätter Altersheime komplett mit Bussen zum Volksfest kutschiert worden. Selbst Rollstuhlfahrer hatte man irgendwie auf die Wiesn gebracht, und die Betreuer hatten ihre liebe Not, alle irgendwie zu platzieren und zu versorgen. Morgenstern sah, wie einer der greisen Rollstuhlfahrer, ein erstaunlich kräftiger alter Mann im Lodenjanker und mit quer über den Kopf gekämmtem strähnigen Haar, auf einen jungen Mann einschimpfte, der hinter ihm stand – einen jungen Mann mit Rastafrisur und einer grün-gelb-schwarzen Strickmütze, den Morgenstern auf Anhieb wiedererkannte. Es war Jonas, der Kletterkursleiter aus dem Irish Pub, heute unterwegs als Zivi des Heilig-Geist-Spitals, was ganz eindeutig keine beneidenswerte Aufgabe war.
»Den Jungen da drüben kenne ich«, sagte Morgenstern und deutete auf Jonas.
»Was denkst du, wie viele Leute ich in Schrobenhausen kenne«, gab Hecht trocken zurück. »So ist das in Kleinstädten, da kennt jeder jeden. Wenn du selbst eine Weile hier bist, kennt dich auch bald jeder. Dann gehörst du zum Inventar.«
»Abwarten«, sagte Morgenstern und beobachtete weiterhin den mürrischen Alten, dem »sein« Zivi offensichtlich nichts recht machen konnte. Vielleicht war es wirklich das Beste, wenn das Modell Zivildienst eines Tage genauso aus dem Verkehr gezogen würde wie die allgemeine Wehrpflicht, sinnierte Morgenstern. Mit solchen Typen wie diesem alten Knacker in Trachtenjacke konnte nur eine professionelle Oberpflegerin fertig werden, ausgestattet mit gusseiserner Autorität und – für den äußersten Notfall – mit einer friedenstiftenden Schlaftablette. Es gab einfach aggressive, egoistische Typen, denen mit blauäugigem Gutmenschentum nicht beizukommen war, dachte Morgenstern. Wenn er es sich genau überlegte, hatte er als Kriminalbeamter fast ausschließlich mit solchen Typen zu tun. Mit Menschen, die sich selbst für das unfehlbare Zentrum der Welt hielten – und dabei keinerlei Rücksicht auf andere nahmen. Es war wohl gut, dass er kein Altenpfleger geworden war.
Er wandte sich wieder der Suche nach Walburga Zinsmeister zu und scannte aufmerksam die Tischreihen. Hecht konnte ihm nicht helfen, denn der hatte die alten Frau bisher nur von der Ferne gesehen. Irgendwo musste sie doch sitzen, bloß wo?
Endlich entdeckte er sie und gab Hecht ein Zeichen. »Los, wir holen sie uns raus. Ich habe keine Lust mehr, mir noch länger diese Blasmusik anzuhören.«
»Mir gefällt’s«, kommentierte Hecht und begann leise
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