Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
läutete am Haupteingang. Es dauerte lange, bis eine Altenpflegerin öffnete. Ohne große Umstände präsentierte Morgenstern ihr seinen Dienstausweis, den sie sorgfältig studierte. Dann bestätigte sie Morgensterns Vermutung: »Jonas Zinsmeister ist bei uns im Haus. Ich bringe Sie zu ihm.« Als sie durch die dämmrigen Flure liefen, gurrte die Pflegerin ungefragt: »Sie werden sehen, der ist richtig goldig. Wir haben ihn hier alle ins Herz geschlossen, und er hat sich in den paar Monaten, die er bei uns ist, schon fast unentbehrlich gemacht.«
Morgenstern wurde unruhig. Die Schwester schwärmte weiter:
»Es ist eigentlich nicht vorgesehen, dass ein Zivi im Nachtdienst mithilft, aber beim Jonas ist das etwas anderes. Der ist so hilfsbereit und lernt so schnell. Und wenn einer am Wochenende freiwillig mithelfen will, dann hat da keiner was dagegen. Er will selbst mal Krankenpfleger werden, hat er gesagt. Da kann er bei uns vorab schon viel lernen.«
»Hmmm«, erwiderte Morgenstern.
Es ging über breite Flure und zwei Treppen nach oben, dann waren sie in der richtigen Station.
»Pssst!«, bedeutete die Pflegerin Morgenstern. »Die meisten unserer Bewohner haben einen leichten Schlaf. Wir wollen sie nicht wecken.« Sie gingen einen langen schummrigen Gang entlang, in dem nur durch die Notbeleuchtung eingeschaltet war. Bloß ganz hinten brannte Licht.
»Das Schwesternzimmer«, flüsterte die Pflegerin. »Da hat heute Schwester Annegret Dienst. Und unser Jonas hilft ihr.«
Im Vorbeigehen studierte Morgenstern die Namensschilder an den Türen, und in der Mitte des Flurs fand er, wonach er gesucht hatte.
»Bruckmair A.«, las er halblaut und blieb abrupt stehen. Er zupfte die Pflegerin am Ärmel. »Warten Sie einen Moment, ich will einen Blick in dieses Zimmer werfen.«
Die Frau starrte ihn misstrauisch an. »Sie haben doch gesagt, Sie müssten mit Jonas sprechen.«
»Nur ein kurzer Blick, ob alles in Ordnung ist.«
»Wenn Sie unseren Herrn Bruckmair aufwecken, dann können Sie sich auf ein Donnerwetter gefasst machen. Nicht von mir, sondern von ihm.«
»Das nehm ich auf meine Kappe«, versprach Morgenstern und drückte sachte die Türklinke.
In der Dunkelheit waren zunächst nur die Umrisse der Möbel zu erkennen: ein Einbauschrank, ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, Familienfotos an einer Wand. Der Rollstuhl stand neben dem Fenster. Anton Bruckmair lag auf dem Rücken in einem Pflegebett, die Decke hatte er bis ans Kinn hochgezogen. Morgenstern lauschte.
»Sehen Sie, er schläft«, flüsterte die Pflegerin, die sich neben ihn gestellt hatte. »Wecken Sie ihn nicht!«
Auf Zehenspitzen schlich Morgenstern bis zum Bett, schaute dem alten Mann ins Gesicht, dann drehte er sich um, ging zur Tür und schaltete das Licht an.
»Sind Sie verrückt?«, protestierte die Pflegerin, doch Morgenstern deutete auf Anton Bruckmair und fragte zurück: »Seit wann schlafen alte Menschen mit offenen Augen?«
Über den Flur näheren sich Schritte. Eine kleine braunhaarige Schwester im weißen Kittel erschien in der Tür, offenbar Schwester Annegret, die Stationsleiterin.
»Was geht hier vor?«, fragte sie ärgerlich und schaute erst Morgenstern, dann ihre Kollegin an. »Elvira, was macht ihr denn hier?«
»Das erkläre ich Ihnen später«, antwortete Morgenstern barsch. »Ich bin von der Kriminalpolizei, und ich will, dass Sie sich sofort um diesen Mann hier kümmern. Es geht um Leben und Tod.«
Schwester Elvira trat ans Bett, nahm Bruckmairs linke Hand, die unter der Bettdecke hervorlugte, und tastete prüfend das Handgelenk ab.
»Kein Puls!«, rief sie ihrer Kollegin zu, dann stürzte sie aus dem Zimmer. »Der Bruckmair atmet nicht mehr! Und jemand von der Polizei ist da!«, hörte Morgenstern sie rufen. Offenbar wandte sie sich an Jonas Zinsmeister. Das Hauptlicht im Gang ging an.
Morgenstern trat genau in dem Moment aus Anton Bruckmairs Tür, als Jonas Zinsmeister seinerseits aus der Tür des Schwesternzimmers schaute. Einen Augenblick lang blickten sich die beiden über die Entfernung von fünfzehn Metern an.
»Jonas, ich bin deinetwegen gekommen. Ich bin bei der Kriminalpolizei. Ich muss mit dir reden«, sagte Morgenstern ruhig und ging dann ganz langsam auf das Schwesternzimmer zu. Der junge Mann brauchte eine Weile, bis er Morgenstern, seinen freundlichen Tresennachbarn aus dem Irish Pub, mit Morgenstern, dem Mordfahnder der Ingolstädter Kripo, in Einklang brachte. Er schien mit sich zu ringen.
»Ein
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