Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
blätterte durch die Seiten. »Mai 1945«, murmelte er. »Muss ich das jetzt alles durchlesen früh um drei Uhr? Weiß ich doch schon alles, was damals war.« Er las die Seiten quer auf der gezielten Suche nach …
»Matthias Schreiber, mhmm, da haben wir ihn ja schon«, sagte er und zeigte den Eintrag einer der Polizistinnen.
Die beugte sich nun ebenfalls über das Heft und las leise, wie für sich selbst, vor: »Habe heute Vormittag zufällig Matthias Schreiber und Anton Bruckmair gesehen. Gab mir einen Stich ins Herz. Zwei Verräter, die ungeschoren davonkommen. Aber mein ist die Rache.«
»Wie war das noch mal?«, fragte Morgenstern nach. »Matthias Schreiber und wer?«
»Matthias Schreiber und Anton Bruckmair«, wiederholte die Polizistin. »Gab mir einen Stich ins Herz.«
»Zwei Verräter«, wiederholte Morgenstern. »Das ist ja eine Überraschung! Es war nicht einer allein, es waren zwei. Frau Zinsmeister, wer ist dieser Anton Bruckmair? Lebt der noch?«
Walburga Zinsmeister schwieg.
»Jetzt ist mir klar, warum Sie das Heft schleunigst vernichten wollten. Sie wollten nicht, dass wir auf den zweiten Mann stoßen.« Morgenstern straffte sich. »Aber das haben wir gleich.«
Misstrauisch hörte Walburga Zinsmeister zu, wie Morgenstern mit der Auskunft telefonierte: »Bruckmair, mit ai und ohne e. – In Eichstätt, genau.« Er sah die alte Frau fragend an. »Stimmt doch? Wir sprechen von Eichstätt? Wer sich hier einmal niedergelassen hat, der zieht nicht mehr weg, das habe ich schon mitgekriegt.« Er wandte sich wieder der Auskunft zu. »Ah, Sie haben einen Bruckmair Anton jr. Danke, der reicht mir.«
Wie praktisch, dass die Väter hier ihre Vornamen mit Vorliebe an den Erstgeborenen weitervererbten, dachte er. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr tippte er die Telefonnummer ins Handy. Beliebt würde er sich mit diesem Weckruf bestimmt nicht machen. Aber um Beliebtheit ging es ihm nicht. Er wollte Gewissheit.
Er ließ das Telefon über eine Minute läuten, dann meldete sich eine schlaftrunkene Frauenstimme: »Ja bitte?«
»Sind Sie Frau Bruckmair?«
»Wer ist denn da?«
»Mein Name ist Morgenstern, Oberkommissar von der Kriminalpolizei in Ingolstadt.«
»Soll das ein Telefonstreich werden?«, erregte sich die Frau. »Oder belästigen Sie öfter nachts Frauen am Telefon?«
»Nein, ich bin wirklich von der Kripo, und wir müssen dringend eine Frage klären.«
»In der Nacht um drei Uhr«, stöhnte die Frau. »Also gut, worum geht es denn?«
»Lebt Ihr Schwiegervater noch? Anton Bruckmair senior?«
Auf der anderen Seite der Leitung herrschte einen Moment lang Schweigen, dann kam die Antwort: »Das will ich wohl meinen. Warum fragen Sie?«
»Lebt er bei Ihnen im Haus?«
»Nein. Er ist im Altersheim. Er hat vor zwei Jahren einen Schlaganfall gehabt. Seitdem sitzt er im Rollstuhl. Er lebt im Heilig-Geist-Spital. Da geht es ihm gut, da wird er liebevoll betreut. Soweit ich weiß, war er gestern mit dem Spital sogar beim Seniorennachmittag auf der Wiesn.«
»Auf der Wiesn«, wiederholte Morgenstern. »Im Rollstuhl.«
»Ja.«
»Ihr Schwiegervater ist etwa achtzig Jahre alt, er trägt gerne eine Lodenjacke, ist kräftig, und er hat die Haare seitlich über den Kopf gekämmt«, sagte Morgenstern langsam.
Er wollte noch hinzufügen, dass der Alte ziemlich griesgrämig sei, aber die Schwiegertochter unterbrach ihn: »Woher wissen Sie das alles? Ich dachte, Sie kennen Ihn nicht? Ich halte das alles für ziemlich sonderbar. Ist ihm etwas passiert? Nun reden Sie schon!«
»Ich erkläre es Ihnen später, Frau Bruckmair, versprochen«, sagte Morgenstern.« Und damit legte er auf.
Walburga Zinsmeister hatte wachsam zugehört. »Woher kennen Sie den Bruckmair?«, fragte sie verwundert.
»Ich habe ihn heute beobachtet, auf dem Volksfest, als ich nach Ihnen gesucht habe.«
»Ach so?«, fragte die Alte erstaunt. »Sie haben wohl ein fotografisches Gedächtnis.«
»Schön wär’s. Nein, ich hatte eigentlich ein Auge auf den jungen Mann, der sich mit diesem alten Grantler herumplagen musste. Auf einen jungen Zivildienstleistenden mit einer auffälligen Frisur.«
Morgenstern ging zu dem grünen Küchenschrank und betrachtete die Bilder, die in den Rahmen der Glasscheiben steckten. Er nahm eines, das einen nachdenklichen, braven Schüler mit kurzen Haaren zeigte, und hielt es der alten Frau unter die Nase. »Jonas«, sagte er. »Ist er Ihr einziger Enkel?«
»Ja.«
»Haben Sie auch ein halbwegs aktuelles
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