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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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wolkte nieder, vom Wind von den Ästen geweht, und hüllte sie momentlang ein. Prinz war zu schwer für sie, trotzdem nahm sie ihn auf den Arm und trug ihn, Schritt für Schritt, auf eine Lichtung hinüber, von der man durch die Bäume auf den See blicken konnte. Das Geräusch eines Automotors strich dem Ufer entlang, schlug aus Felswänden zurück, schreckte Vögel auf, die mit rauschenden Flügeln aus Nadelkronen hochstiegen und abzogen. Schnell wurde das Motorengeräusch leiser; die Stille danach war greifbar wie ihre weißen Atemwolken, die vor ihr standen. Ich lebe noch, diesmal sagte sie es laut, sah, dass der Wind auch am anderen Ufer langgezogene Schneefahnen von Bäumen wehte und die gezackte Linie der Wipfel in Unruhe versetzte. Es schneite wieder, ganz leicht, als stelle sie es sich nur vor. Über dem Kamin des Jagdschlosses stand eine zerrissene helle Rauchfahne,zum Einhorn gedrechselt. Sie legte den Kopf in den Nacken und hob ihr Gesicht in die Flocken, die sie zart berührten, welch Trost. Der Flockenwirbel hob sie aus der Gegenwart, und sie ging noch einmal mit Leopold durch das Ried unten am Traunsee, über klirrendes Schilf, im Frost zu Glas geworden, so dicht neben ihm, dass sie seinen Atem hörte und sein Kichern, weil ihn die Flocken kitzelten, die auf seinem Gesicht landeten. Erst am Ufer nahm er ihre Hand und hob sie an seine Brust, als wolle er ihr zeigen, wie kraftvoll sein Herz schlug, »für dich, nur für dich«, sagte er und zog sie an sich und hob sie hoch, mitten in den Flockentaumel und wirbelte sie durch die Luft wie ein Kind.
    Sie weigerte sich, Prinz zu Boden und in den kalten Schnee gleiten zu lassen. Sie blieb stehen und hielt ihn umklammert, bis sie wieder bei Atem war. Dann ging sie die letzten Meter zu den drei Birken hinüber, die am Rand der Lichtung standen, einen guten Schritt vor den anderen Bäumen, als wollten sie auf die fast runde Wiese hinaustreten. Sie ließ sich, ohne Prinz freizugeben, zu Boden sinken, in den weichen Schnee, ihren toten Hund im Schoß, über sich das Flüstern von Schwingen.

5
    Das Wesen, das man nie zu Gesicht bekommt, zumindest nicht von vorne, glitt groß und mächtig einen Hügel hinunter, es ging auf leisen Pfoten durch die Blitze ihrer Träume, Schritt um Schritt kam es näher, schurrend und klopfend.Ayfer schreckte hoch, fuhr sich über den Kopf und begriff erst durch die Berührung, sie hatte sich die Haare geschnitten. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber sie wusste, wo sie sich befand. In einem Wohnwagen auf einem heruntergewirtschafteten Industrieareal in der Nähe ihrer Eltern. Finster war es schon gewesen, als sie sich hingelegt hatte. Das Fauchen der Laterne hatte aufgehört, bestimmt war die Gaskartusche leer. Ihre Haare waren raspelkurz und borstig, sie stellte erstaunt fest, dass sie ihre Kopfform mochte. Von den Teelichtern brannten nur noch die zwei auf der Ablage neben der Spüle.
    Was sie geweckt hatte, begriff sie erst, nachdem sie eine Weile reglos dagelegen und schläfrig und absichtslos in die Nacht gelauscht hatte. Neben dem Scharren und Klopfen auf dem Wohnwagendach war da ein weiteres Geräusch, das nicht aufhörte, ein Klagen und Jammern, das sie für das Weinen eines Kindes hielt, bis sie wusste, es war eine Katze, die mauzte, leise und kläglich. Eine Katze, die Angst hatte. Ayfer schaffte es nicht, aufzustehen. Das Jammern ließ sich auch einfach als bedeutungsloses Geräusch hören, genau wie das Schurren der Äste oder das Rauschen der Büsche am Zaun, nur ein Geräusch und weder Ausdruck von Angst noch von Verzweiflung. Oder hatte das Klopfen der Äste etwa doch eine Bedeutung, war es Ausdruck eines Schmerzes, für den sie taub war? Sie durfte morgen auf keinen Fall zu ihren Eltern zurück, wenn ihr Vater allein zu Hause war; er saß den ganzen Morgen in Pyjamahose, Unterhemd und Schlappen im Wohnzimmer auf den Teppichen am Boden, löste Kreuzworträtsel am sofra, am niedrigen Tischchen, an dem sie nur aßen, wenn sie türkische Freunde oder Verwandte zu Besuchhatten, und hörte Musik aus seiner anatolischen Heimat, aus dem »weiten Tal«, der roten Landschaft Kappadokiens, Lieder aus seiner Geburtsstadt Kayseri, in der sie noch nie gewesen war, bestimmt, weil seine Eltern vor ihrer Geburt gestorben waren, traurige Lieder vom Verlust der Liebsten, gesi baglarinda dolaniyorum. Ihr Vater war dann so gereizt, dass der kleinste Anlass genügte, damit er explodierte. War es besser, ihren Eltern unter die

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