Wald
Dunkelheit.
»Ritsch, ratsch, ritsch, ratsch ---«
Erster Teil
- Geburt -
»Der Ritter, der kein Ritter sein will«
An den südlichen Küsten
im Jahre 973 A.D.
Envin zittert. Mit der einen Hand stützt er sich an einen Baum, mit der anderen zieht er seinen Umhang zur Seite und übergibt sich. Er ist schmächtig für einen Ritter. Selbst wenn er sein Schwert umgürtet hat, hält man ihn eher für einen Knappen, der gerade seine erste Lehrstunde im Fechten erhält, als für einen erwachsenen Kämpfer. Jetzt liegt seine Waffe vor ihm im Schnee. Die Klinge ist blutrot. Hat er einen Menschen getötet? Er ist mit seinen Kräften am Ende. Mit letzter Anstrengung versucht er, beim Speien nicht den leblosen Körper vor seinen Füßen zu treffen.
»Da bist Du ja Envin!«
Ein Reiter bleibt direkt neben ihm stehen und lässt seine Hand auf Envins linke Schulter fallen. Es ist Sidus.
»Komm schon, kleiner Bruder! Soll ich die Schlacht ohne dich gewinnen? Und wo ist dein Pferd? Willst Du etwa als Fußsoldat in die Geschichte eingehen?«
Sidus blickt auf Envin herab, dann dreht er den Kopf weg und lässt einen Kampfschrei los, als er einen Reiter auf ihn zu rasen sieht. Sidus gibt seinem Pferd die Sporen und verschwindet im Schlachtengetümmel. Mit einem gezielten Schwerthieb streckt er den Feind nieder, dann entdeckt er schon den nächsten Gegner und zieht weiter.
Envin sieht sich um. Für einen Moment hat er vergessen, was um ihn herum vorgeht. Langsam kommt er wieder zu sich. Sein Pferd --- er erinnerte sich wieder. Er hat sich mit seinem Ross an den Schluss der Kampflinie zurückfallen lassen, um sich aus den kriegerischen Handlungen herauszuhalten. Doch dann wurde er vom Pferd gestoßen. Es muss ein Hinterhalt gewesen sein. Ein feindlicher Krieger war hinter ihrer Frontlinie aufgetaucht und hat sich auf ihn gestürzt. Hat er sich aus dem Wipfel eines Baumes auf ihn fallen lassen? Envin weiß nicht mehr, wie er den ersten Schwerthieb abgewehrt hat. Er ist kein guter Fechter und erst recht kein geübter Krieger, aber die Todesangst scheint bei ihm einige Reflexe freigesetzt zu haben. Während der Feind zu einem weiteren Schlag ausholen wollte, schaffte Envin es, auf die Beine zu kommen und erneut zu parieren. Dann ging alles ganz schnell. Ein Hieb folgte dem Nächsten und irgendwann begann Envin, selbst Initiative zu ergreifen und seinem Gegner mit den Angriffen zuvorzukommen. Solange, bis seinem Gegenüber die Waffe aus der Hand fiel und danach --- was passierte danach? Er kann sich noch immer nicht erinnern. Hat er einen unbewaffneten Mann niedergestreckt?
Envin schrickt zusammen. Mit einem lauten Knall schlägt ein Pfeil etwa einen Zoll von seinem Kopf entfernt in den Baumstamm ein, an dem er lehnt. Er springt zur Seite, duckt sich hinter einem Haufen Ästen und ohrfeigt sich selbst, um wieder zu Verstand zu kommen. Um ihn herum tobt eine blutige Schlacht. Der Wald ist so dicht bewachsen, dass man, obwohl die Bäume bereits ihr Laub verloren haben, nur wenige Fuß weit sehen kann. Doch an dem Gebrüll und den Schreien um ihn herum merkt er, dass die Kampflinie zurückgedrängt worden ist und er sich nun mitten in der Gefahrenzone befindet. Er greift nach seinem Schwert. Dann kriecht er vorwärts, um seinen Schild aufzuheben, der ihm aus der Hand gefallen war, als er vom Pferd fiel. Vorsichtig richtet Envin sich auf, den Schild vor sich gestreckt. Er sieht sich um. Zu seiner Rechten duellieren sich mehrere Kämpfer. Wo sitzt der Bogenschütze? Wohin kann er sich zurückziehen, um in Sicherheit zu gelangen? Envin läuft langsam nach links. Wenige Ellen entfernt hat er ein Gebüsch entdeckt, in dem er sich verstecken könnte. Ein Angsthase zu sein ist immer noch besser, als tot zu sein. Solange er nur nicht von seinem Bruder erwischt wird, wie er hinter einem Haufen Ästen sitzt, als sei er ein verängstigter Bauernjunge.
Mit rasantem Tempo taucht ein Reiter aus dem Unterholz auf, springt über einen großen Stein und treibt mit gezogenen Langschwert auf ihn zu. Envin hechtet zur Seite und rennt so schnell, wie es ihm mit seiner Rüstung möglich ist. Er hat das Gefühl, dass sein Kettenhemd ihn zu Boden drückt, als wären die einzelnen Ringe des Hemdes Bleibrocken und er hat Angst, dass ihm die Enge des Helms das Gehirn zerquetschen könnte. Vielleicht könnte er den Reiter abhängen, wenn er sich die Dichte der Bäume zunutze macht, bevor er erschöpft zusammenbricht und zerhackt wird. Er sieht zwei
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