Walden Ein Leben mit der Natur
und Rebhühner? Sie zahlen zu den einfachsten Geschöpfen der Tierwelt, alteingesessene, ehrwürdige Familien, im Altertum so gut bekannt wie heute; in Stoff und Farbe ein Stück Natur, am nächsten dem Laub und dem Boden verwandt - wie auch einander, seien sie nun
beflügelt oder befußt. Sieht man ein Kaninchen davonspringen oder ein Rebhuhn auf schwirren, hat man weniger den Eindruck eines wild lebenden Tieres, sondern denkt eher an so etwas vertrautes wie raschelndes Laub. Als echte Urbewohner der Erde werden sich Rebhuhn und Kaninchen weiter vermehren, was immer für Revolutionen auch kommen mögen. Selbst wenn der Wald abgeholzt wird, bieten ihnen die jungen Schößlinge, die aus dem Boden schießen, und das Gebüsch Zuflucht, und sie werden zahlreicher sein als je. Ein armes Land, das nicht imstande ist, einen Hasen zu ernähren. Unsere Wälder
wimmeln von ihnen, um jedes kleine Moor kann man die Spur eines Rebhuhns oder eines Hasen finden; und überall sieht man Fallen aus Zweigen und Roßhaarschlingen, die irgendein Kuhhirt aufgestellt hat.
XVI.
Der See im Winter
Nach einer ruhigen Winternacht erwachte ich eines Morgens mit dem Gefühl, als sei an mich eine Frage gerichtet worden, die mich im Schlaf gequält hatte - ein Was? Wie? Wann? und Wo? Doch draußen erwachte die Natur mit allen ihren
Geschöpfen, schaute mit heiterer, zufriedener Miene zu meinen Fenstern herein, auf ihren Lippen stand keine Frage. Ich erwachte zu einer längst beantworteten Frage: zu der Natur
-2 6 7 -
und dem Tageslicht. Tiefer Schnee, mit jungen Föhren
gesprenkelt, bedeckte die Erde, und der Hang, auf dem mein Haus »und, schien mir zuzurufen: Vorwärts! Die Natur stellt keine Frage und beantwortet keine, die wir Sterbliche stellen.
Sie hat längst ihren Entschluß gefaßt. »O Prinz, unsere Augen betrachten voll Bewunderung und vermitteln unserer Seele das herrliche, bunte Schauspiel des Weltalls. Die Nacht verhüllte ohne Zweifel einen Teil der erhabenen Schöpfung; doch der Tag kommt, uns dieses große Werk zu enthüllen, das sich von der Erde bis in die Gefilde des Äthers erstreckt.«
Auf zu meiner Morgenarbeit! Zuerst nehme ich Axt und Eimer und gehe auf die Suche nach Wasser, sofern dies nicht ein Traum bleiben muß. Nach einer kalten, schneereichen Nacht bedurfte es einer Wünschelrute, um überhaupt Wasser zu
finden. Winter für Winter wird die flüssige, schwankende Oberfläche des Sees, die sonst auf jeden Hauch reagierte, jeden Lichtstreifen, jeden Schatten spiegelte, hart und fest bis zueiner Dicke von einem bis anderthalb Fuß und trägt die schwersten Gespanne. Häufig liegt noch eine ebenso dicke Schneedecke auf ihr, so daß sie vom flachen Land nicht zu un terscheiden ist. Wie die Murmeltiere auf den Hügeln ringsum schließt der See die Lider und schläft mindestens drei Monate lang. Auf dieser schneebedeckten Ebene stehe ich wie auf einer Weide inmitten von Bergen, durchschneide zuerst die Schneedecke, dann die Eisschicht und öffne zu meinen Füßen ein Fenster, um kniend daraus zu trinken. Dabei sehe ich in den stillen Wohnraum der Fische hinunter, wohin nur gedämpftes Licht - wie durch ein Fenster aus Milchglas - dringt und wo der helle Sand auf dem Grund liegt, genau wie im Sommer. Hier herrscht eine beständige, gleichmäßige Heiterkeit, die mit dem kühlen ruhigen Temperament seiner Bewohner in Einklang
steht. Der Himmel ist unter uns so gut wie über uns.
Zeitig am Morgen, wenn alles noch frosterstarrt ist, kommen Männer mit ihren Angeln und einem kleinen Imbiß und lassen ihre dünnen Angelschnüre durch das weiße Schneefeld hinab, um Hechte und Barsche zu fangen. Es sind furchtlose
Gestalten, die instinktiv anderen Bräuchen folgen und anderen
-2 6 8 -
Mächten vertrauen als ihre Mitbürger. Sie verbinden durch ihr Kommen und Gehen dort Städte miteinander, wo sonst keine Verbindung besteht. Mit dicken, wetterfesten Mänteln sitzen sie auf dem trockenen Eichenlaub am Ufer und verzehren ihre Mahlzeit. Ihr instinktives Wissen ist geradeso umfangreich wie die erlernte Weisheit der Städter. Sie haben niemals in einem Buch Rat gesucht, wissen viel weniger und können über viel weniger Dinge sprechen, als sie vollbracht haben. Was sie eigentlich treiben, weiß niemand. Da fischt einer von ihnen Hechte mit ausgewachsenen Barschen als Köder. Mit Staunen blickt man in seinen Eimer, der einem Teich im Sommer gleicht, als wüßte er, wohin der Sommer sich zurückzog, oder hielte ihn bei
Weitere Kostenlose Bücher