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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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werden. Das Kap ward zur Sandbank und Untiefe, Tal und Schlucht zu tiefem Wasser und Kanal.
    Nachdem ich eine Karte des Sees im Maßstab I: 2000 angelegt und darin meine, im ganzen mehr als hundert Lotungen
    eingetragen hatte, kam ich zu einem bemerkenswerten
    Ergebnis. Da mir aufgefallen war, daß die Zahl, welche die größte Tiefe angab, augenscheinlich in der Mitte der Karte lag, legte ich ein Lineal erst der Länge, dann der Breite nach auf die Karte und entdeckte zu meiner Überraschung, daß die Linie der größten Länge genau im Punkt der größten Tiefe schnitt, obwohl die Mitte beinahe eben war, der Umriß des Sees
    durchaus nicht regelmäßig und beim Messen der größten
    Länge und Breite die Buchten miteinbezogen worden waren.
    Da sagte ich zu mir: Wer weiß, ob dieser Hinweis nicht ebenso auf die tiefste Stelle des Ozeans wie auf einen See oder eine Pfütze zutrifft. Gilt nicht auch das gleiche Prinzip für die Höhe der Berge, wenn man sie als Gegenstück der Täler
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    betrachtet? Wir wissen, daß die Berge nicht an ihrer
    schmälsten Stelle am höchsten sind.
    Unter fünf Buchten zeigten drei - das heißt alle, die ich un-ersucht hatte - eine Sandbank quer vor ihrem Eingang, hinter der das Wasser tiefer wurde. Sie waren also nicht nur in horizontaler, sondern auch in vertikaler Richtung eine
    Ausbreitung des Wassers ins Land hinein und bildeten dort ein Wasserbecken oder einen See für sich. Die Richtung ihrer beiden Landzungen zeigte den Verlauf der Sandbank. Auch jeder Meereshafen hat vor seiner Einfahrt eine Sandbank. Je breiter die Mündung der Bucht im Verhältnis zu ihrer Länge war, desto tiefer war das Wasser über der Sandbank im
    Vergleich zu dem im Becken. Sind also Länge und Breite einer Bucht und der Charakter des umliegenden Ufers gegeben, so
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    haben wir genügend Anhaltspunkte, um eine allgemein gültige Formel aufzustellen.
    Um zu sehen, wieweit diese Erkenntnis genügte, die tiefste Stelle eines Gewässers zu bestimmen, legte ich einen Plan des ungefähr vierzig Morgen großen Weißensees an, der wie der Waldensee weder eine Insel noch einen sichtbaren Zu- oder Abfluß hatte. Da sich die Linie der größten Breite hier sehr nahe bei der kleinsten Breite befand, weil in dem Teich zwei Landzungen und zwei Buchten einander gegenüberlagen,
    vormerkte ich den tiefsten Punkt aufs Geratewohl in ziemlicher Nähe der kleinsten Breite, doch immer noch auf der Linie der größten Länge. Tatsächlich befand sich die tiefste Stelle des Sees hundert Fuß von diesem Punkt entfernt, noch ein Stück weiter in der Richtung, die ich angenommen hatte, und war nur um einen Fuß tiefer, nämlich sechzig Fuß. Ein durchgehender Fluß oder eine Insel im See würden die Frage natürlich weit komplizierter gestalten.
    Wenn uns alle Naturgesetze bekannt wären, dann würde uns eine Tatsache allein oder die Beschreibung eines Phänomens genügen, um daraus auf alle Einzelheiten zu schließen, die damit in Zusammenhang stehen. Wir kennen jedoch nur wenige Gesetze, und darum sind unsere Ergebnisse unzulänglich, nicht, weil in der Natur Regellosigkeit und Verworrenheit herrschten, sondern weil wir die wesentlichen Faktoren zu ihrer Berechnung nicht kennen. Unsere Begriffe von Gesetz und Harmonie sind gewöhnlich auf das Wahrnehmbare allein
    gegründet; die Harmonie jedoch, die sich aus einer weit größeren Zahl scheinbar widersprüchlicher, in Wahrheit aber übereinstimmender Gesetze ergibt, die wir nicht erkannt haben, ist noch viel wunderbarer. Es geht uns mit den einzelnen Gesetzen wie mit unseren Blickwinkeln: für den Wanderer ändert sich der Umriß eines Berges mit jedem Schritt. Er zeigt unzählige Profile, wiewohl seine Form immer die gleiche bleibt.
    Ja, selbst wenn ein Berg gespalten oder durchbohrt wird, bleibt er in seiner Ganzheit unfaßbar. Die Beobachtungen, die ich am See gemacht habe, gelten ebensogut für die Ethik. Es handelt sich um das Gesetz des Durchschnitts. Die Regel der zwei
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    Diameter führt uns nicht nur zur Sonne des Systems und zum Herz des Menschen; zieht man Linien durch die Länge und die Breite eines Menschenlebens, durch die Summe des ureigenen täglichen Verhaltens und der Unebenheiten seiner Buchten und Zuflüsse, dann findet man an ihrem Schnittpunkt die Tiefe seines Wesens. Um den verborgenen Grund eines Menschen
    abzuleiten, reicht uns vielleicht das Wissen über die Neigung seiner Ufer und das umliegende Land, seine Lebensumstände.
    Ist

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