Walden Ein Leben mit der Natur
Armenhaus nicht ebenso zufrieden leben und so
frohe Gedanken haben kann wie in einem Palast. Die Armen der Stadt scheinen mir oft das unabhängigste Leben von allen zu führen. Vielleicht sind sie ganz einfach großherzig genug, ohne Argwohn nehmen zu können. Die meisten halten sich für zu gut, sich von der Gemeinde erhalten zu lassen. Doch öfter noch halten sie sich nicht für zu gut, sich mit unredlichen Mitteln zu unterhalten, was schimpflicher sein sollte. Hüte deine Armut wie eine Gartenpflanze. Bemühe dich nicht besonders, etwas Neues anzuschaffen, weder an Kleidern noch an Freunden.
Wende die alten, kehre zu ihnen zurück. Die Dinge ändern sich
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nicht; wir ändern uns. Verkaufe deine Kleider und behalte deine Gedanken. Gott wird dafür sorgen, daß es dir an Gesellschaft nicht mangelt. Wäre ich wie eine Spinne all meine Tage auf den Winkel einer Dachkammer beschränkt, so würde die Welt
darum nicht weniger groß für mich sein, solange mich meine Gedanken umgeben. Der Philosoph sagt: »Einer Armee von
drei Divisionen kann man den General nehmen und sie dadurch in Unordnung bringen; dem Menschen aber, selbst dem
verworfensten und gewöhnlichsten, kann man seine Gedanken nicht nehmen.« Sei nicht so ängstlich darauf bedacht,
fortschrittlich zu sein und dich immer neuen Einflüssen auszusetzen, die doch nur ihr Spiel mit dir treiben; das ist nur Verschwendung. Demut wie auch Dunkelheit enthüllen das
himmlische Licht. Die Schatten von Armut und Niedrigkeit umgeben uns, »doch siehe! die Schöpfung dehnt sich vor
unseren Augen aus«. Wie oft werden wir daran erinnert, daß unsere Ziele und Anlagen im wesentlichen dieselben bleiben, auch wenn wir mit den Reichtümern eines Krösus ausgestattet wären. Bist du in deinem Gesichtskreis aber durch Armut behindert und kannst dir zum Beispiel keine Bücher, keine Zeitungen kaufen, dann bist du auf die bedeutungsvollsten und lebenswichtigsten Erfahrungen beschränkt und gezwungen, dich an das zu halten, was den meisten Zucker- und
Stärkegehalt hat. Nahe am Knochen schmeckt das Leben am süßesten. Es schützt dich davor, dich zu vertändeln. Kein Mensch verliert im Kleinen durch Großzügigkeit im Großen. Mit überflüssigem Reichtum kann man nur Überflüssiges kaufen.
Um den Erfordernissen der Seele gerecht zu werden, braucht man kein Geld.
Ich lebe im Winkel einer bleiernen Wand, in deren Masse ein wenig Glockenmetall gegossen wurde. Oft dringt um die stillen Mittagsstunden von draußen ein verworrenes Tintinnabulum an mein Ohr. Es ist der Lärm meiner Zeitgenossen. Meine
Nachbarn erzählen mir von ihren Erlebnissen mit berühmten Herren und Damen und von den hohen Persönlichkeiten, mit denen sie gespeist haben; aber ich habe dafür nicht mehr Interesse als für den Inhalt unserer Tageszeitung Ihre
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Interessen und Unterhaltungen drehen sich hauptsächlich um Kleider und Manieren; eine Gans aber bleibt eine Gans, und wenn sie noch so elegant serviert wird. Man erzählt mir von Kalifornien, Texas, England und Indien, von dem
hochwohlgeborenen Mister X. aus Georgia oder
Massachusetts, lauter kurzlebigen, flüchtigen Erscheinungen, bis ich am liebsten aufspringen und davonlaufen möchte. Ich bin glücklich, an meinen eigenen Herd zurückzukehren - nicht in der Prozession mit Pomp und Prunk in vorderster Reihe zu marschieren, sondern lieber mit dem Schöpfer des Universums Umgang zu pflegen, wenn ich das darf - nicht in die
Rastlosigkeit, Nervosität, Geschäftigkeit dieses schalen Jahrhunderts verwickelt zu sein, sondern mich meinen
Gedanken zu überlassen, während es an mir vorüberzieht. Was feiern die Menschen eigentlich? Sie gehören alle irgendeinem Arbeitsausschuß an und verlangen stündlich, von jemandem eine Rede zu hören. Gott selbst ist nur der Ehrenpräsident, und Webster sein Wortführer. Ich prüfe, bestimme und strebe am liebsten danach, was mich am stärksten anzieht und was mir am richtigsten erscheint - nicht danach, mich an den Balken der Waage zu hängen und zu versuchen, mich leicht zu machen -
nicht mich an angenommene, sondern an gegebene Tatsachen zu halten. Und ich wähle nur den Weg, den ich gehen und von dem keine Macht der Welt mich abhalten kann. Es macht mir keine Freude, mit dem Bogen eines Gewölbes zu beginnen, bevor ich ein festes Fundament daruntergelegt habe. Wir wollen uns doch nicht auf zu dünnes Eis wagen. Fester Grund läßt sich überall finden. Ich las einmal von einem Reiter,
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