Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Baumstämme, Rinde in genügender Menge oder selbst gut gebrannter Lehm oder flache Steine billiger und leichter zu haben als passende Höhlen. Ich spreche mit Sachkenntnis über diesen Gegenstand, denn ich habe mich sowohl theoretisch wie praktisch damit beschäftigt. Mit etwas mehr Verstand können wir diese Materialien derart benutzen, daß wir reicher werden als die Reichsten jetzt sind. Unsere Zivilisation würde dann ein Segen werden. Der zivilisierte Mensch ist ein erfahrener und verständiger Wilder. Doch nun schleunigst zu meinem eigenen Experiment!
Ende März 1845 borgte ich mir eine Axt und wanderte hinab in den Wald zum Waldenteich, in dessen unmittelbarer Nähe ich mein Haus bauen wollte. Ich fällte zunächst einige hohe, pfeilartige, noch junge Weißtannen, um Bauholz zu gewinnen. Anzufangen, ohne zu borgen, ist schwer. Und doch ist dies vielleicht noch der anständigste Weg, da man hierdurch seinen Mitmenschen erlaubt, sich für das Unternehmen eines anderen zu interessieren. Der Besitzer der Axt sagte, als er mir zeitweise sein Eigentumsrecht an derselben übertrug, sie sei sein Augapfel. Ich gab sie ihm aber schärfer zurück als ich sie empfing. Der Abhang des Hügels, auf dem ich arbeitete, war lieblich mit Nadelholz bewachsen, durch das man einen Ausblick auf den See und auf eine kleine Lichtung im Gehölz hatte, wo Fichten und weiße Wallnußbäume zu treiben begannen. Das Eis des Teiches war noch nicht geschmolzen, doch sah man einige offene Stellen. Das Eis zeigte überall eine dunkle Farbe und war völlig mit Wasser durchsetzt.
Während der Tage, die ich hier arbeitete, gab es einige leichte Schneegestöber. Meistens aber lag, wenn ich heimwärts ging, der Eisenbahndamm, leuchtend wie ein gelbes Band in dunstiger Luft, vor meinen Augen. Die Schienen glitzerten in der Frühlingssonne.Ich hörte die Lerche, den Piewieh, und andere Vögel, die schon angekommen waren, um ein weiteres Jahr mit uns zu verleben. Es waren angenehme Frühlingstage, Frühlingstage an denen der Winter unseres Mißvergnügens zugleich mit der Erde auftaute, an denen das bislang erstarrte Leben sich zu recken und zu strecken begann. Eines Tages – meine Axt hatte sich gelockert, ich hatte gerade den lebenden Zweig eines Wallnußbaumes zu einem Stiel zu geschnitten, ihn mit einem Stein hineingetrieben und die ganze Axt nahe am Teiche in ein Erdloch gesteckt, um das Holz quellen zu lassen – eines Tages sah ich eine gestreifte Schlange in das Wasser huschen. Dort lag sie auf dem Grunde, augenscheinlich ohne Unbehagen solange ich dort war, d. h. länger als eine Viertelstunde, Vielleicht war ihr Erstarrungszustand noch nicht völlig gewichen. Es kommt mir so vor, als ob wegen einer ähnlichen Ursache die Menschheit in ihrem niedrigen primitiven Zustand verharrt. Denn, wenn sie den belebenden Einfluß des Frühlings aller Frühlinge spüren würden, so müßten sie notgedrungen sich zu einem höheren, mehr ätherischen Dasein erheben. Ich hatte schon vorher, morgens früh an Frosttagen auf meinem Wege Schlangen beobachtet, deren Körper zum Teil noch starr und unbeweglich war. Sie warteten auf die Sonne, um aufzutauen. Am ersten April viel Regen und das Eis zerschmolz. Am frühen Morgen, wo dichter Nebel herrschte, hörte ich eine verirrte Gans, die schrie als ob sie den Weg verloren hätte und über das Eis tappte wie das Gespenst des Nebels.
Ich fuhr mit meiner Arbeit einige Tage lang fort, fällte und bearbeitete mein Holz, die Eckpfeiler und die Dachsparren. Ich gebrauchte dazu nur meine schmale Axt, und hatte nicht gerade viel mitteilungswerte oder wissenschaftliche Gedanken. Ich sang so vor mich hin:
"Das Menschlein spricht: Ich weiß von vielen Dingen.
"Doch ach! schon entfalteten ihre Schwingen
"Künste und Wissenschaften
"Und tausend Machenschaften!
"Der Wind weht –
"Das ist alles, was der Mensch versteht."
Die Hauptbalken machte ich sechs Zoll dick. Die meisten Pfosten bearbeitete ich nur an zwei Seiten, die Bretter für die Decken und den Fußboden nur an einer Seite, die übrige Rinde ließ ich daran. Auf diese Weise wurden sie genau so gerade und bedeutend stärker als gesägte Bretter. Jeder Pfeiler wurde ordentlich eingezapft und verbolzt, denn ich hatte mir bereits andere Werkzeuge geborgt.
Mein Tagewerk im Walde pflegte nicht lange zu dauern, doch nahm ich gewöhnlich mein Mittagessen, bestehend aus Butter und Brot, mit mir hinaus. Mittags las ich, während ich mitten
Weitere Kostenlose Bücher