Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
wir nur das Beste lesen, was in der Literatur vorhanden ist, und nicht unser a, b, abc und einsilbige Wörter in der vierten oder fünften Klasse in alle Ewigkeit wiederholen und unser Leben lang auf der Faulbank sitzen bleiben. Die meisten Menschen sind zufrieden, wenn sie ein gutes Buch lesen – die Bibel zum Beispiel – oder sich aus einem guten Buch vorlesen lassen. Es genügt ihnen, wenn sie (vielleicht) von dessen Weisheit überzeugt sind. Den Rest ihres Lebens vegetieren sie und verschwenden ihr Können an sogenannte seichte Literatur. In unserer Volksbibliothek befindet sich ein mehrbändiges Werk, dessen Titel "Little Reading" in mir den Gedanken erweckte, es beschäftige sich mit der Stadt gleichen Namens, die ich noch nie besucht hatte. Es gibt Menschen, die selbst nach einer reichlichen Mahlzeit von Fleisch und Gemüse alles verdauen können,gerade wie die Wasserraben und Strauße. Es schmerzt sie, wenn etwas umkommt. Wenn andere die Maschinen sind, die produzieren, so sind sie die Maschinen, die konsumieren. Neuntausendmal lasen sie das Märchen von Zebulon und Sephronia, die einander liebten wie nie zuvor geliebt wurde. Auch war der Pfad, den ihre treue Liebe wandelte, nicht eben – jedenfalls lief sie dahin, strauchelte, stand auf und lief weiter. Oder sie lasen, wie ein Unglücksmensch bis zur Kirchturmspitze hinaufkletterte, der besser daran getan hätte, wenn er nur bis zum Glockenstuhl geklettert wäre. Ist dieser Pechvogel nun – ganz überflüssigerweise – in solche Höhen emporgehoben, dann läutet der glückliche Romandichter die Glocke, damit alle Welt zusammenläuft und sieht – O, Du lieber Himmel!– – wie der Pechvogel wieder herunterklettert. Man täte, meines Erachtens, wohl daran, alle diese strebsamen Helden der gesammten Romanliteratur in menschliche Wetterhähne zu verwandeln, wie man früher die Helden unter die Sterne versetzte. Tort mögen sie sich um sich selber drehen, bis sie rostig sind. Dort mögen sie bleiben und friedliche Bürger mit ihren Possen verschonen. Wenn der Romanschreiber das nächste Mal die Glocke läutet, will ich mich nicht vom Flecke rühren, selbst wenn die Kirche niederbrennen sollte. " Der Sprung des Zehenspitzenspringers", ein Romanze aus dem Mittelalter, von dem berühmten Verfasser des "Tittle Tol-Tan" wird in monatlichen Lieferungen erscheinen! Man stürmt den Verlag! Kommt nicht alle zur gleichen Zeit! " Das alles lesen sie, mit Augen groß wie Mühlräder, mit lebhafter, ungetrübter Neugierde, mit unersättlichem Magen, dessen Schleimhautfalten ebensowenig zum Appetit gereizt zu werden brauchen, wie dem kleinen vier Jahre alten Musterschüler seine 10-Pfennig-Goldschnitt-Ausgabe von "Aschenbrödel" nicht erst angepriesen werden muß. Nutzen hat er ja doch nicht davon – weder im Vortrag, noch in der Aussprache, noch in der Betonung, noch in der Fähigkeit die Moral herauszuziehen oder hineinzuverlegen. Und was resultiert? – Müdes Sehen, Hemmung der vitalen Zirkulation und eine allgemeine Ohnmacht und Verwässerung der intellektuellenFähigkeiten. Diese Sorte Pfefferkuchen wird täglich in jedem Backofen mit mehr Eifer gebacken als reines Weizen-, Roggen- oder Maisbrot. Sie wird auch viel leichter verkauft.
Die besten Bücher werden noch nicht einmal von denen gelesen, die man als "gute Leser" bezeichnet. Wie hoch kann man die Kultur in Concord einschätzen? In diesem Städtchen gibt es – mit sehr wenigen Ausnahmen–für die besten und für die guten Bücher, selbst der englischen Literatur, deren Worte jeder lesen, jeder buchstabieren kann, kein Verständnis. Selbst die Herren an der Universität, d. h. die höher Gebildeten, wissen hier wie auch an anderen Orten wenig oder überhaupt nichts von den englischen Klassikern. Gerade um die Kenntnis der Urväter-Weisheit des Menschengeschlechtes, um die alten Klassiker und heiligen Schriften, die allen zugänglich sind, die dafür Interesse haben, kümmert man sich so wenig wie möglich. Ich kenne einen Holzhacker in den besten Jahren, der sich eine französische Zeitung hält, nicht der Neuigkeiten wegen – darüber ist er erhaben – nein, "um in der Übung zu bleiben". Er ist nämlich in Canada geboren. Und als ich ihn fragte, welche Beschäftigung ihm auf dieser Welt als die beste erscheine, erwiderte er: "Abgesehen von der soeben erwähnten die Pflege und Verbesserung meines Englisch." Das deckt sich ungefähr mit den Taten und Bestrebungen des akademisch Gebildeten. Darum
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