Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
einen Bogen über den dunkleren Abgrund der Unwissenheit, der uns umgibt.
Töne
Doch während wir uns auf Bücher beschränken, selbst wenn es die hervorragendsten und die klassischen sind, und während wir nur bestimmte Schriftsprachen lesen, die selbst nur unbeholfene Dialekte sind, laufen wir Gefahr, diejenige Sprache zu vergessen, in welcher alle Dinge und Ereignisse ohne Metapher reden, welche allein erschöpfend und meisterhaft ist. Viel wird veröffentlicht, aber wenig wird gedruckt. An die Strahlen, die durch den Fensterladen fielen, wird niemand mehr denken, wenn der ganze Fensterladen geöffnet ist. Keine Methode, keine Disziplin kann uns über die Notwendigkeit hinweghelfen immer die Augen offenzuhalten. Was ist ein Kursus über Geschichte, Philosophie oder Poesie, mag er noch so vorzüglich zusammengestellt sein, was ist die beste Gesellschaft und die bewunderungswürdigste Lebenskunst im Vergleich zu jener Fähigkeit die Dinge zu sehen, die wirklich zu sehen sind. Willst Du nur ein Leser, ein Forscher sein, oder ein Sehender? Lies Dein Schicksal, sieh was vor Dir liegt und wandle hinein in die Zukunft.
Im ersten Sommer las ich keine Bücher – ich hackte meine Bohnen. Ja, oftmals tat ich noch etwas Besseres! Es gab Zeiten, wo ich es nicht über mich gewinnen konnte, die Blüte des Augenblicks irgend einer Arbeit des Kopfes oder der Hände zu opfern. Ich liebe es meinem Leben einen weiten Spielraum zu geben. Bisweilen saß ich an einem Sommertage, nachdem ich mein gewohntes Bad genommen hatte, vor meiner Tür im Sonnenschein von Sonnenaufgang bis zur Mittagstunde, traumverloren zwischen Fichten, Walnuß- und Sumachbäumen, in ungestörter Einsamkeit und Stille, während die Vögel ringsum sangen oder geräuschlos durch dasHaus flatterten. Und erst, wenn sich die Sonne in dem westlichen Fenster meines Hauses spiegelte, oder wenn das Rollen eines Reisewagens von der fernen Landstraße zu mir drang, erinnerte ich mich daran, wie schnell die Stunden verflogen.
An solchen Tagen wuchs ich wie der Mais in der Nacht. Sie waren auch weitaus besser als irgend ein Werk meiner Hände hätte sein können. Sie wurden meinem Erdenwallen nicht abgeschrieben, sondern zugelegt. Ich verwirklichte das, was die Orientalen unter Beschaulichkeit und Arbeitsentsagung verstehen. Meistens dachte ich gar nicht daran, daß Stunde auf Stunde verrann. Der Tag brach an, als ob er mein Werk beleuchten wolle. Es war Morgen und – siehe da! – nun ist es Abend und nichts von Bedeutung wurde getan, Statt wie die Vögel zu singen, war ich innerlich heiter über mein dauerndes Glück. Wie der zwitschernde Spatz, der auf dem Walnußbaum vor meinem Hause sitzt, so habe auch ich mein Lachen, mein Trillerlied, das vielleicht aus meinem Nest zu ihm hinüberschallt, Meine Tage waren keine Wochentage, waren nicht nach irgend einer heidnischen Gottheit benannt, sie waren nicht in Stunden zerhackt, noch durch das Ticken einer Uhr zerfetzt. Nein, ich lebte wie die Puriindianer, die, wie man erzählt, "für gestern, heute und morgen nur ein Wort besitzen; sie modifizieren es dadurch, daß sie für gestern – rückwärts, für morgen – vorwärts und für heute nach oben deuten." Ich weiß sicher, daß meine lieben Mitbürger darin nur eine unglaubliche Faulheit erblicken. Doch, wenn Vögel und Blumen mich mit ihrem Maß gemessen hätten, wäre ich nicht zu leicht befunden. Ein Mensch muß von innen heraus seine Impulse bekommen, das steht fest. Der Tag an sich ist sehr ruhig und wird ihm kaum seine Trägheit zum Vorwurf machen.
Jedenfalls hatte ich vor der Lebensweise anderer Menschen, die in Vergnügungen, Theater und Gesellschaften aufgehen, mit meiner Lebensweise den Vorzug, daß mein Leben selbst ein Genuß war, und nie aufhörte neu zu sein. Es war ein Schauspiel mit vielen Szenen und ohne Schluß. Würden wir immer versuchen nach den letzten und besten Regeln, die wir lernten, unser Brot zu verdienen, unser Lebenzu verbringen, so würde uns Langweile sicher niemals plagen. Folge dem Fluge Deines Genius unmittelbar, und er wird Dir getreulich in jeder Stunde neue Perspektiven eröffnen. Hausarbeit war ein willkommener Zeitvertreib. Wenn mein Fußboden schmutzig war, stand ich frühzeitig auf und setzte all meine Möbel draußen auf das Gras. Bett und Bettstelle trug ich dabei auf einer Schulter. Tann sprengte ich die Dielen mit Wasser, streute weißen Sand aus dem Teiche hinauf und bürstete sie mit dem Besen, und um
Weitere Kostenlose Bücher