Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
durch Mark und Herz dringt und glücklich wirst Du Dein Leben beschließen. Sei es Leben oder Tod – wir hungern nach Wahrheit. Wenn es wirklich zum Sterben geht, so laßt uns das Röcheln in unsrer Kehle hören, laßt uns die Kälte in unsern Gliedern fühlen. Wenn wir aber leben, so wollen wir unsre Pflicht tun.
Die Zeit ist nur ein Strom, in dem ich fische. Ich trinke aus ihm, doch während ich trinke, sehe ich den sandigen Grund und entdecke, wie flach der Strom ist. Seine schwachen Wellen fließen dahin, doch die Ewigkeit bleibt. Ich will einen tiefen Trunk tun. Ich will im Himmel fischen, dort liegen Sterne als Kiesel am Grund. Ich kann nicht bis Eins zählen. Ich kenne nicht den ersten Buchstaben des Alphabets. Immer hat es mich betrübt, daß ich nicht so weise war wie der Tag, der mich gebar. Der Geist ist ein Beil. Mit schneidender Schärfe bahnt er sich Weg in das Geheimnis der Dinge. Meine Hände sollennicht mehr arbeiten als unbedingt notwendig ist. Mein Kopf ist Hand und Fuß zugleich. Ich fühle es: dort ruhen meine reichsten Kräfte. Mein Instinkt sagt mir, daß mein Kopf, wie bei manchem Tier Schnauze oder Vorderpfoten, ein Organ zum Bohren ist. Mit ihm möchte ich meinen Weg durch diese Hügel bohren und graben. Ich bin überzeugt, die reichste Ader ist irgendwo hier in der Nähe! Das weiß ich durch meine Wünschelrute und leicht wallende Nebeldünste, Hier will ich mit dem Bergbau beginnen.
Lektüre
Würden sich die Menschen die Wahl ihrer Beschäftigungen etwas genauer überlegen, so würden die meisten von ihnen wohl in der Hauptsache Studierende und Forscher sein, denn des Menschen Wesen und Schicksal interessiert alle in gleicher Weise. Wenn wir Schätze für uns oder unsere Nachkommen sammeln, wenn wir eine Familie oder ein Gemeinwesen gründen, selbst wenn wir nach Ruhm geizen, sind wir sterblich. Unsterblich aber ist unser Drang nach Wahrheit. Er wird durch keine Wechselfälle, durch kein Ereignis erschüttert. Der älteste Philosoph Ägyptens oder Indiens lüftete den Saum des Schleiers an der Statue der Gottheit. Und noch immer ist der Schleier ein wenig emporgehoben und mich trifft der gleiche leuchtende Glanz wie ihn; denn ich lebte damals in ihm, ich machte ihn so kühn und er hat dieselbe Vision von neuem in mir. Kein Staub ruht auf diesem Gewand. Keine Zeit ist verflossen seit jene Gottheit offenbart wurde. Jene Zeit, die uns nützt, die sich nützen läßt, ist weder Vergangenheit, Gegenwart, noch Zukunft.
Mein Aufenthaltsort war nicht nur zum Denken, sondern auch zu ernster Lektüre viel geeigneter als die Universität. Und wenn ich auch aus dem Bereich einer zirkulierenden Leihbibliothek entronnen war, so stand ich doch mehr denn je unter dem Bann derjenigen Bücher, welche um die Welt zirkulieren und deren Sätze, anfangs auf Rinde geschrieben, jetzt nur von Zeit zu Zeit auf Leinwandpapier gedruckt werden. "Als ich mich niederließ, um die Region der geistigen Welt zu durcheilen" – so spricht der Dichter Mir Camar Addin Mast – "verhalfen mir die Bücher dazu. Als ich wünschte mich an einem Glase Wein zu berauschen, trank ich den Trunk der esoterischen Lehren."Während des Sommers lag Homers Ilias auf meinem Tisch, aber nur hier und da blätterte ich darin. Meine Hände hatten zunächst vollauf zu tun, denn der Hausbau mußte vollendet und die Bohnen gleichzeitig gehackt werden. Dadurch wurde ein eingehenderes Studium unmöglich. Doch tröstete ich mich mit dem Gedanken, in Zukunft solche Lektüre pflegen zu können. Ich las ein paar oberflächliche Bücher – Reisebeschreibungen – während meiner Arbeit, bis ich mich dieser Beschäftigung vor mir selbst schämte und mich fragte, wo ich denn eigentlich lebe.
Der Studierende kann getrost Homer oder Äschylos griechisch lesen ohne leichtsinnig seine Zeit zu vergeuden, denn er muß notgedrungen den Helden dieser Dichter nacheifern und ihren Taten Morgenstunden widmen. Bücher aus den heroischen Zeiten werden, selbst wenn sie in den Schriftzeichen unsrer Muttersprache gedruckt sind, in Zeiten der Degeneration stets in einer toten Sprache verfaßt sein. Wir müssen mühsam nach der Bedeutung jedes Wortes, jeder Zeile suchen und einen tieferen Gehalt, als der Durchschnittsmensch in der alten Sprache vermutet, mit all unsrer Weisheit, unsrem Mute und unsrem Edelsinn hinein zu verlegen wissen. Die moderne wohlfeile und fruchtbare Literatur hat mit all ihren Übersetzungen wenig dazu beigetragen,
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