Waldesruh
Mich hat neulich auch schon der Typ vom Gemüseladen gefragt, was mit Oma sei, er würde sie schon vermissen.«
»Welcher Gemüseladen?«
»Der von dem Türken, neben dem Eiscafé.«
»Da hat Oma eingekauft? Das hat sie nie erzählt.«
»Warum sollte sie auch, das ist ja wohl nichts Besonderes.«
»Aber sie hat sich mit dem Inhaber unterhalten, das wundert mich«, beharrte Marie. »Sie war überhaupt nicht der Typ, der sich durch das ganze Dorf quatscht.«
»Sie wohnte schon eine Ewigkeit hier«, widersprach Janna. »Da kann man noch so zurückhaltend sein, irgendwann kommt man doch mit den Leuten ins Gespräch. Wir müssen die Geschäfte im Dorf in Zukunft meiden. Wenn die Leute uns nicht sehen, dann denken sie auch nicht weiter über Oma nach.«
»Und wo wollt ihr dann einkaufen?«, meldete sich Emily zu Wort. Während sie der Unterhaltung der Schwestern zugehört hatte, hatte sie erst ein bisschen gezeichnet und dann Moritz beobachtet, der mit lautem Schlürfen sein Müsli aß. Jemand muss dem Kleinen dringend Essmanieren beibringen, dachte sie, fühlte aber keinerlei Drang dazu, diese Aufgabe zu übernehmen.
»Wenn wir Axel einweihen würden, dann könnte der einmal die Woche mit uns ins Einkaufszentrum fahren«, schlug Janna vor.
Marie schüttelte den Kopf. »Bin dagegen.«
»Vielleicht solltet ihr selbst Gemüse anbauen«, meinte Emily.
Janna schnippte mit den Fingern. »Genau! Das ist die Lösung! Und wir stellen eine Kuh in den Schuppen und züchten Hühner und Kaninchen. Und Marie schlägt dann jeden Sonntag eines tot, damit wir einen Braten haben.«
»Man darf kein Tier totmachen!«, protestierte Moritz und warf vor Empörung den verschmierten Löffel nach Janna.
»He, verdammt! Das war doch nur ein Witz!«, schrie Janna ihren Bruder an. »Jetzt schau dir mein T-Shirt an, das war frisch gewaschen, du Schwein!«
»Selber Schwein!«, rief Moritz und machte Anstalten, auf seine Schwester loszugehen. Emily hielt ihn am Ärmel fest und flüsterte ihm zu: »He, Moritz! Schau mal, was ich gemalt habe.«
»Mir doch egal!«
Aber dann siegte doch die Neugier. »Hihi, das ist Janna! Sieht die doof aus!«
»Lass sehen!«, forderte Janna.
»Janna ist eine Hexe!«, quietschte Moritz vergnügt.
Emily hatte ihre Nase und das Kinn ein klein wenig spitzer und die Lippen ein bisschen schmaler dargestellt als in der Realität. Außerdem hatte sie den Schwung ihrer Augenbrauen noch etwas kühner angesetzt.
»Das ist Cruella aus 101 Dalmatiner«, grinste Marie. »Gut getroffen!«
»Macht nur weiter so«, grollte Janna, »dann taucht hier bald die Super-Nanny auf!«
Aber immerhin war Moritz nun wieder guter Dinge. »Ich geh raus.« Er rannte zur Tür.
»Halt!«, riefen Janna und Marie im Chor. Moritz drehte sich verwundert um. »Ich geh raus, spielen«, ließ er seine Schwestern erneut wissen.
»Nein!«
»Du bleibst hier!«
Moritz verstand die Welt nicht mehr. Sonst waren sie doch immer heilfroh, wenn er sich draußen beschäftigte. »Ich will aber raus!«, protestierte er und stampfte mit dem Fuß auf. Aber Janna war schon aufgestanden und hatte sich vor die Haustür gestellt.
Emily sagte rasch: »Ich weiß was Besseres. Wir spielen heute mal auf dem Dachboden!«
Ein Strahlen breitete sich über Moritz’ Gesicht aus. Normalerweise war der Dachboden tabu.
»Arschkopf«, sagte er zu Janna, ehe er kehrtmachte und die Treppe hinaufrannte. Emily folgte ihm.
»Gut«, sagte Janna und musste sich das Lachen verbeißen, »und ich sehe mir mal Omas Schreibtisch näher an. Vielleicht findet sich ja irgendein Hinweis.«
Staub tanzte in den Sonnenstrahlen, die durch die vier kleinen Luken im Dach fielen. Einige Bodenbretter waren lose oder gar morsch, es knirschte verdächtig, wenn man darauf trat. Sehr viel gab es nicht zu untersuchen. Das Interessanteste war ein alter Webstuhl, Marie erklärte Emily, wie das Ding funktionierte.
»Wer hat darauf gewebt?«, fragte Emily.
Marie wusste es nicht.
Ein alter Schrank beherbergte zwei Pelzmäntel, vier Hüte, darunter ein Zylinder, und etliche Kleider, die allesamt nach Mottenkugeln rochen. Die Mädchen probierten die Kleider und die Hüte an, während Moritz unter einer alten Gardine verschwand. Emily machte ihm die Freude, sich jedes Mal fürchterlich zu erschrecken, wenn er hinter ihr auftauchte und »buh« machte.
»Iiih, Pfui Teufel«, schrie Emily plötzlich auf.
»Was ist?«
Emily deutete auf eine Mausefalle mit einer mumifizierten Maus darin.
»Die
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