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Waldesruh

Waldesruh

Titel: Waldesruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Einuhrzug. Komm, wir machen uns eine heiße Milch.«
    Sie gingen leise nach unten in die Küche. Emily goss Milch in einen Topf und füllte sie, als sie dampfte, in zwei Becher. Beide gaben ordentlich Honig hinein. Dann saßen sie mit angezogenen Beinen auf den Küchenstühlen, die Hände um das warme Getränk gelegt, als herrsche tiefer Winter. Das Haus war still. Ab und zu knackte oder knarrte etwas.
    »Ich finde, jedes Haus hat seine Nachtgeräusche«, sagte Marie.
    »Stimmt.«
    »Dieses hier knarzt immer so. Das kommt von dem vielen Holz. In unserem früheren Haus haben immer irgendwelche Wasserleitungen gerauscht und die Heizung im Keller hat fauchende Geräusche gemacht. Ich habe Moritz erzählt, dass das die Geister sind, die miteinander flüstern.«
    »Du bist gemein, der arme Kerl!«
    »Ach, der hat das damals doch noch gar nicht kapiert«, winkte Marie ab. In diesem Moment begann es hinter ihnen dumpf zu brummen. Die Mädchen erstarrten vor Schreck. Dann fingen beide an zu lachen.
    »Der Kühlschrank knurrt wie ein Rottweiler«, stellte Marie fest.
    »Wie war das denn so, früher?«, fragte Emily.
    Marie sah sie nachdenklich an.
    »Es war alles in Ordnung, so ungefähr bis ich sieben war und Janna zehn. Moritz fing gerade an zu laufen. Ich glaube, Moritz war für meine Eltern einfach zu viel. Ich habe mal gehört, wie sie deswegen gestritten haben. Meine Mutter war sauer, weil sie wegen ihm ihre Arbeit aufgeben musste. Sie hatte wieder angefangen, nachdem ich in die Schule gekommen war. Seit Moritz’ Geburt war sie fast immer schlecht gelaunt. Dann ist mein Vater häufiger spät nach Hause gekommen, manchmal war er über Nacht weg. Als ich neun war, ist er ausgezogen, zu seiner neuen Freundin. Von da an ging es mit meiner Mutter bergab, sie hat sich oft stundenlang in ihrem Schlafzimmer eingeschlossen und behauptet, sie habe Kopfschmerzen. Eines Tages wartete vor der Schule eine Frau vom Jugendamt auf uns. Sie sagte, Mama sei in einer Art Krankenhaus. Wir durften ein paar Tage zu meinem Vater. Das fanden wir erst gar nicht so schlecht. Aber seine Freundin mochte uns nicht, das hat man gemerkt, obwohl sie in seiner Gegenwart immer zuckersüß getan hat. Zum Glück war Mama nach zwei Wochen wieder zurück. Von da an hat uns öfter mal eine Frau vom Jugendamt besucht und es ging so einigermaßen. Nur manchmal, wenn ich von der Schule kam, hat Mama immer noch geschlafen. Dann haben halt Janna und ich was gekocht, war auch kein Problem. Kurz vor Weihnachten ist dann mein Vater mit dem Auto tödlich verunglückt. Das hat meine Mutter völlig mitgenommen, obwohl sie so getan hat, als würde ihr das nichts ausmachen.« Marie hielt inne, blinzelte und fuhr sich mit dem Zipfel ihres Nachthemds verlegen über die Nase. Emily schwieg.
    »Einmal, ich war zehn, kam ich von der Schule heim und da war die Polizei da. Hinterher erzählten mir die Nachbarskinder, meine Mutter hätte im Nachthemd auf der Fensterbank herumgeturnt. Wir haben damals schon nicht mehr in unserem Haus gewohnt, sondern in einer Wohnung, im vierten Stock. Mama kam dann wieder in diese Nervenklinik und wir mussten in eine Pflegefamilie. Die Leute waren total fremd für uns, das war am Anfang schon blöd.«
    Was Marie da erzählte, war für Emily nahezu unvorstellbar, obwohl man solche Dinge oft im Fernsehen sah.
    »Die Pflegeeltern waren eigentlich ganz nett. Aber sie hatten noch drei andere Pflegekinder und die waren wirklich schräg drauf. Mit einem Mädchen habe ich mich gleich am ersten Tag geprügelt, weil sie schlecht über meine Mutter gesprochen hat, das weiß ich noch. Dann kam meine Mutter zurück und es ging wieder eine Weile gut. Aber dann sind immer wieder solche Sa chen passiert...Wir kamen dann in Heime, zu Pflegefamilien, manchmal wurden wir sogar getrennt. Janna wäre um ein Haar in eine Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche gekommen, weil sie damals ziemlich viel geklaut hat. Wir hatten halt nie Geld für Klamotten und so was und du kennst sie ja – Klamotten und Haare sind ihr furchtbar wichtig.« Marie trank von ihrer Milch und fuhr fort: »Vor zwei Jahren hat Oma dann gesagt, es reicht jetzt mit dem ewigen Hin und Her, wir sollen zu ihr ziehen. Sie hat meine Mutter überredet, ihr das Sorgerecht zu übertragen. Anfangs mochte ich sie gar nicht so besonders. Sie war manchmal so streng.« Marie lächelte etwas wehmütig. »Es war sicher auch für sie nicht einfach: über siebzig und dann auf einmal drei Kinder an der Backe.

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