Waldmeister mit Sahne
diesem Moment kam Michaels Vater nach Hause. Er war in den Supermarkt geschickt worden, um Zimt zu kaufen. Ohne Zimt aß Michael nämlich keinen Milchreis.
„Unser Hase hat einen neuen Freund“, empfing ihn Mama sogleich.
„Ich wusste gar nicht, dass wir eine Karnickelzucht haben“, sagte sein Vater trocken und umarmte Michael. „Hallo, Junge.“
„Tach, Papa.“
Er stellte den Zimt auf den Tisch.
„Da, für deine Pampe.“
Über den Tisch hinweg grinsten sie sich an.
„Werner, hast du gehört? Mein Sohn ist verliebt.“
„Soweit ich weiß, war ich an der Zeugung ebenfalls ein klein wenig beteiligt. Es ist also unser Sohn. Wann wird denn geheiratet?“
Michael verdrehte die Augen. Manchmal waren seine Eltern etwas anstrengend.
„Ich denke, Schwule können jetzt auch heiraten“, sagte Papa irritiert.
„Eingetragene Lebenspartnerschaft heißt das. Ich will mich nicht eintragen lassen. Ich will einfach nur mit Jo zusammen sein.“
„Und wo drückt der Schuh?“ Seine Mutter holte Teller aus dem Schrank und schaute Michael über die Schulter hinweg fragend an. Manchmal war sie ihm unheimlich. Woher wusste sie, dass eben nicht alles in Butter war?
„Mama, bist du eine Hexe?“, fragte er deshalb vorsichtig.
„Wusstest du das nicht?“, erkundigte sich sein Vater unschuldig. „Der Besen, mit dem sie nachts um die Häuser fliegt, steht in der Garage.“
Ein Teller mit Milchreis wurde vor Michaels Nase abgestellt. Er öffnete den Behälter mit dem Zimt und sorgte dafür, dass aus weißem Reis ein brauner Brei wurde. Reichlich Zucker sorgte für die nötige Süße.
„Was ist denn nun mit diesem Jo nicht in Ordnung?“, fragte Mama erneut, als sie endlich mit am Tisch saß. Sie würde keine Ruhe geben, bis sie alles erfahren hatte. Das wusste Michael genau.
„Es weiß keiner, dass er schwul ist. Und er traut sich nicht, es bekannt zu machen. Jo hat Angst, wie seine Kollegen und die Familie darauf reagieren könnten. Daher können wir uns lediglich unter Ausschluss der Öffentlichkeit treffen.“
Verdattert sahen ihn seine Eltern an. Damit hatten sie überhaupt nicht gerechnet. Bestimmt hatten sie sich auf jemanden eingestellt, der an jedem möglichen Körperteil ein Piercing hängen hatte und jede erdenkliche Hautpartie mit Tattoos verzierte. Oder auf jemanden, der hobbymäßig einen Swingerclub betrieb. Und wieder reagierten sie, wie sonst keine Eltern reagieren würden.
„Bist du sicher, dass du das durchhältst?“, fragte sein Vater besorgt. Michael war ehrlich und zuckte mit den Schultern.
„Der arme Mann“, sagte seine Mutter dagegen. „Ich finde es schrecklich, wenn man sich verstecken muss. Wenn ich an den ganzen Ärger denke, den du damals hattest.“
Einer von Michaels Kollegen hatte von einem Moment zum nächsten kein Wort mehr mit ihm gesprochen und war ihm demonstrativ aus dem Weg gegangen. Michael war sich bereits wie aussätzig vorgekommen und war kurz davor gewesen, sich eine Glocke um den Hals zu hängen und bei seiner Anwesenheit „Unrein! Unrein!“ zu intonieren. Zwei Monate später hatte sich der Kollege versetzen lassen. Zum Glück waren Kalle, Herbert und Cornel toleranter.
„Wo hast du ihn denn kennengelernt, wenn die Öffentlichkeit tabu ist?“ Sein Vater rührte in dem Milchreis herum, den er nicht ausstehen konnte. Dem Ritual folgend nahm ihm Mama den Teller weg und holte die Reste vom Vortag aus dem Kühlschrank, um sie ihm aufzuwärmen.
Michael entschied sich die Wahrheit zu sagen, obwohl er genau wusste, was seine Eltern davon hielten.
„Beim Cruisen am Kennel.“
„Ach, Junge“, sagte Papa prompt. „Eines Tages wirst du doch noch mal überfallen und ausgeraubt.“
„Hast du wenigstens ein Kondom benutzt?“, fragte seine Mutter.
Michael stöhnte. Peinliche Gespräche am Mittagstisch brauchte er absolut dringend.
„Natürlich hat mein Sohn ein Kondom benutzt, Ilse. Schließlich weiß er über Verhütung Bescheid.“ Papa sprang sofort in die Bresche. Innerlich klatschte sich Michael mit der flachen Hand vor die Stirn. Klar wusste er über Verhütung Bescheid. Er wollte ja nicht das komplette Mannsvolk dieser Stadt schwängern. Mama musste seine Gedanken erraten, denn sie warf ihm einen belustigten Blick zu. Michael widmete sich lieber dem Milchreis und bekam einen ungefragten Nachschlag.
„Dabei hätte ich schon gerne einen Enkel gehabt“, sagte sein unverbesserlicher Vater. „Vielleicht hätte ich damals bei deiner Zeugung lieber die
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