Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
vermehren, den einseitigen Wunsch, dass die Könige sich blutige Schlachten liefern; – er ist also nicht mit sonderlichem Vertrauen auf geneigtes, gerechtes Gehör um Frieden anzurufen. Auch weiss man aus vielen Geschichten, die von diesem Weltenlenker erzählt werden, dass er, der unbeschränkte Alleinherr, der allein herrschen soll, selbst beherrscht wird; d. h. den Einflüssen seiner Umgebung – der weiblichen wie der männlichen – unterworfen ist; was hilft es, dass Zeus gerecht und weise regieren will, wenn es Hera gelingen kann, ihn durch weibliche Künste einzuschläfern und mittlerweile seine Pläne zu durchkreuzen? Ähnlich wie Frigga durch Schlauheit und Überraschung ihrem Gemahl die Siegverleihung an die Langobarden ablistet (s. unten).
Dies führt zu dem zweiten Versuch einer Besserung des Götterglaubens durch die Mittel des Götterglaubens selbst; da die Herrschaft auch des obersten Gottes keine Gewähr bietet für weise, gerechte, heilige Weltleitung, da man jetzt eben den Schwächen und Launen des obersten Gottes preisgegeben ist und der Eigenart seines Wesens, so sucht man, wie vorher die Vielgötterei durch ein Ersatzmittel für den einzigen Gott, so nunmehr die Vermenschlichung der persönlichen Götter zu verbessern durch ein unpersönliches Weltgesetz; man schafft ein unpersönliches Schicksal, ein Fatum, welches unabänderlich auch über dem obersten Gotte steht; so dass er dieses notwendige Schicksal nur erforschen und ausführen, nicht aber bestimmen, schaffen, ändern oder aufheben kann. So erkundet Zeus durch Abwägen auf seiner Waage das den Achäern und Troern vorbestimmte Geschick; so sucht Odin die Göttern und Riesen verhängte Zukunft zu erfahren. Dies Schicksal wird nun, in wechselnder Auffassung, bald lediglich als unabänderliche Notwendigkeit, als blindes Fatum gedacht, ohne Annahme einer der Vernunft und Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung. Auch solch blindes und starres Schicksal ist immerhin noch erträglicher als das Gefühl, der Spielball der unberechenbaren Launen der vermenschlichten und von Leidenschaften beherrschten Götter und ihrer Spaltungen zu sein. Indessen, die entsagende Fügung unter ein notwendiges Gesetz, welches auf das Glück des Menschen keine Rücksicht nimmt, ist dem warmen Verlangen der ungeschulten Menschenseele widerstreitend. Deshalb wird von andern Religionen oder von andern Lehren der nämlichen Religion das Schicksal als eine gerechte Vergeltung, die schon auf Erden immerdar die Tugend belohne und die schuldvolle Überhebung strafend niederbeuge, verehrt; eine Vorstellung, welche freilich gar oft durch das unverdiente Glück der Schlechten und Unglück der Guten widerlegt wird, im Leben der einzelnen wie in den Geschicken der Völker.
Merkwürdig aber ist die Wahrnehmung, wie das religiöse Bewusstsein die Zumutung, das Göttliche als Unpersönliches, als Gesetz zu fassen, schlechterdings auf die Dauer nicht erträgt; kaum hat die Götterlehre, um der Willkür der vermenschlichten persönlichen Götter zu entrinnen, das unpersönliche Schicksal aufgestellt, als sie schon wieder geschäftig Hand angelegt, dies unpersönliche – abermals zu personifizieren. Das Gesetz des Schicksals wird verwandelt in eine Schicksalsgöttin, Nemesis (welche dann freilich ausserhalb der bunten Göttergeschichten und Liebeshändel usw. gelassen wird); ja, auch der Zug der Vielgötterei bemächtigt sich dieser doch gebieterisch die Einheit verlangenden Vorstellung und stellt sie in drei Personen: drei Göttinnen der Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, auseinander gefaltet (Parzen, Nornen s. unten), dar.
Es ist klar: diese Versuche, die Götterlehre durch die Mittel der Götterlehre selbst zu reinigen, können nicht gelingen, da die Gestaltungsweise, das Werkzeug und der gesamte Boden, welche jene bedenklichen Gebilde erzeugt, dabei natürlich beibehalten bleiben und gleichmässig fortwirken. Die Folge ist, dass sich bei vorgeschrittener Bildung, nachdem die Stufe unmittelbaren, urteillos gläubigen Hinnehmens des in der Überlieferung Gegebenen überschritten ist, von solchen "Götterlehren" gerade die sittlich Edelsten und die geistig höchstbegabten und tiefstgebildeten Männer der Nation mit Gleichgültigkeit, ja mit Verachtung abkehren, da ihre sittlichen Anschauungen und ihre philosophischen Bedürfnisse und Errungenschaften durch jene Göttersagen nicht befriedigt, sondern auf das empfindlichste und empörendste verletzt werden. Dass dies bei
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