Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
grossartige, fast übermenschliche Werk der römischen Feinde, den Grenzhag, den Pfahlgraben [Fußnote: Dahn, Urgeschichte, II, S. 422 f.; Deutsche Geschichte, I, 1, S. 498 f.] , auf Riesen oder andre böse Gewalten, d. h. in der christlichen Zeit auf Teufel zurückführten. So bleibt als Zeugnis für "Phol" fast nur der Merseburger Zauberspruch über, der bei Verrenkungen gesprochen wurde; eingekleidet in epische, ja dramatische Form:
phol ende uuôdan
Vol und Wotan
uuorun zi holza:
fuhren zu Holze[ritten zu Walde] :
du uuart demo balderes
da ward Balders [Fußnote: Oder des Gebieters, d. h. Wotans.]
uolon
Fohlen [Fußnote: Über Baldurs Ross s. unten; wahrscheinlich waren die in dem heiligen Hain der Naharnavalen, einer germanischen Völkerschaft, verehrten jugendlichen Brüder, welche Tacitus mit Kastor und Pollux vergleicht, Baldur und Hermodur oder Baldur und Hödur.]
sin unoz birenkit:
sein Fuss verrenkt:
thu biguolen sinthgunt,
Da besang[besprach] ihn Sinthgunt,
sunnâ erâ suister,
Sonne, ihre Schwester,
thu biguolen frûâ,
da besang ihn Fraua (Frigg),
nollâ erâ suister,
Volla, deren Schwester:
thu biguolen uuôdan,
da besang ihn Wotan,
sô he uuola conda
wie er wohl verstand.
sôse bênrenki,
so die Beinverrenkung,
sôse bluotrenki, sôse
so die Blutverrenkung,
lidirenki:
so die Gliederverrenkung:
(Hier fehlt wohl eine Zeile.)
"bên zi bêna,
"Bein zu Beine,
bluot zi bluoda,
Blut zu Blute,
lid zi geliden,
Glied zu Gliedern,
sôse gelîmidâ sin."
als ob sie geleimt wären" [Fußnote: Wir ersehen daraus, dass Volla als Friggs Schwester galt und dass, neben einer sonst unbekannten Göttin (man vermutet darunter ein Gestirn, aber gewiss mit Unrecht den männlichen Mond) Sinthgunt, auch hier die Sonne (Sunna), wie nordisch Sol, die unter den Asinnen genannt wird, weiblich gedacht wird.]
VI. Loki-Loge.
Baldur wird, wie wir sehen werden, getötet durch seines Bruders Hödur unschuldige Hand, auf Anstiften des bösen Loki, althochdeutsch Loge. Die Naturgrundlage dieser halb asischen, halb riesischen Gestalt ist, obzwar dieses bezweifelt wird, das Feuer [Fußnote: Der Name wird doch wohl richtig auf die Sanskritwurzel lug zurückgeführt, leuchten, woher auch lateinisch lux, lucere, griechisch leukos, nicht auf Iukan, schliessen, abschliessen, so dass Loki der Beender, consummator, d. h. der Zerstörer alles Lebens wäre. – Er heisst auch Loptr (Luft) und Lodur (Loderer?).] . Und wie das Feuer, nach Schillers schönen Worten, bald wohltätig, bald verderblich wirkt, so ist auch Lokis Wesen ein zweifaches; er zählt zu den Göttern; denn die wärmende und befruchtende Flamme ist eine segensreiche, den Menschen unentbehrliche Macht; aber sie ist zugleich immer unzuverlässig, gefährlich, treulos und, wenn entfesselt, furchtbar verderblich. Daher der böse Loki schon vor seinem offenen Abfall von den Göttern diesen allerlei zwar listige und verschlagene, scheinbar und für den Augenblick auch wirklich vorteilhafte Ratschläge erteilt, welche sie aber doch stets grossen Gefahren und Verlusten aussetzen und vor allem ihre Treue und Wahrhaftigkeit schädigen, daher ihre "Dämmerung", d. h. ihre Verschuldung herbeiführen und steigern.
Loki heisst der Sohn des Riesen Farbauti und der Laufey oder Nal; Farbauti, der "Führer des Bootes", ist vielleicht jener Riese, welcher aus der bei Ymirs Tod entstandenen Sintflut sich in einem Boote rettete; Lauf-ey hat man auf "Laub-Insel" gedeutet, wohin der Riese flüchtete. Aber vielleicht galt Loki ursprünglich als Odins Bruder [Fußnote: Lokis Brüder heissen Bileistr und Helblindi, Bileistr ("Sturm-löser") ist aber auch ein Name Odins, danach wäre dann Helblindi etwa Hönir, und es ergäbe sich, da einem Riesen Fornjotr drei Söhne Kari (oder Hler), Ögir und Logi beigeschrieben werden, die Dreizahl;
Luft
Wasser
Feuer
Odin
Hönir
Loki
Bileistr
Helblindi
Loki
Kari (oder Hler)
Ögir
Logi
entsprechend:
Zeus
Poseidon
Hephästos.
(So Simrock.)
] ; er wandert wiederholt mit ihm und mit Hönir; eine Erinnerung daran, dass anfangs Luft, Wasser, Feuer, später Odin, Hönir (Ögir), Loki überwiegend als Naturgewalten gedacht waren; später wird dann Loki nicht mehr als Odins geborner, sondern durch Vertrag angenommener Bruder gedacht; als "Blutsbruder": Freunde ritzten je eine Ader ihres Armes, fingen das Blut in einem Becher auf, vermischten es und tranken beide davon, wodurch ein unverbrüchlicher Treueverband hergestellt ward, so eng wie unter wirklichen Brüdern
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