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Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Titel: Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Dahn , Therese Dahn
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ewige Schicksal, das unvergängliche, unabänderliche nicht zusammenschliessen – ergiebt sich nun der reizende Einfall als sehr nahe liegend, dass zwei der Gaben Verleihenden dem Kinde wohlgesinnt, günstige Spenden, Eigenschaften, Vorbestimmungen in die Wiege legen, die dritte aber aus irgend einem Grunde, z. B. wegen fahrlässiger Zurücksetzung, gereizt, feindlich gesinnt, nachteilige Gaben beifügt, etwa so, dass sie der vorhergehenden günstigen Fügung, welche sie nicht aufheben kann, einen ungünstigen Zusatz anhängt. Da ist es denn ein Glück, wenn die dritte, wohlwollende Schwester noch nicht gesprochen hat; denn nun kann sie das schädliche Geschenk der zweiten zwar nicht unmittelbar aufheben, aber durch weiteren Zusatz abschwächen oder – wenigstens unter einer Bedingung: z. B. der Erlösung, der Errettung aus dem von der zürnenden Patin verhängten Zauberschlaf – nachträglich wieder auflösen.
    Als Nornagest geboren war, traten drei weissagende Frauen an seine Wiege; die ersten beiden sagten ihm Heil voraus; aber die jüngste – sie glaubte sich geringer geachtet – sprach drohend: "Haltet ein mit eurer Glück-Verheissung; denn ich lege ihm: er soll nicht länger leben, als hier dieser Span (oder diese Kerze) lodert, der neben der Wiege brennt." Rasch löschte die älteste Schwester den Span, überreichte ihn Nornagests Mutter und mahnte, des Spanes wohl zu achten. Erst am letzten Tage seines Lebens möge ihn Nornagest anzünden (d. h. also entweder, wann er lebensmüde geworden, oder an dem von den Nornen vorbestimmten Tage). Nornagest führte in seiner Harfe verborgen den Span mit sich; dreihundert Jahre lebte er und sah des Nordlands goldenste Tage; da endlich, lebenssatt, holt er den Span hervor, zündete ihn an und blickte ruhig in die verglimmende Flamme; mit ihr zugleich erlosch sein Leben [Fußnote: Ähnlich die griechische Sage von Meleager.] .
    In dem holden Märchen vom Dornröschen sind es dreizehn Feen, welche das Königspaar als Patinnen ladet. Aber nur zwölf goldene Teller hat die Königin, die dreizehnte erhält einen Silberteller (oder die dreizehnte wird deshalb gar nicht geladen). Nachdem nun elf der Feen dem Kinde je einen Wunsch gesprochen und je eine Gabe gewährt, – Schönheit, Tugend, Gesundheit – spricht plötzlich die dreizehnte, ergrimmt über die Zurücksetzung (und plötzlich in den Saal tretend): "Das wird ihr aber alles nicht viel helfen, oder doch nicht lange. Denn ich lege ihr, dass sie sich im fünfzehnten Jahre mit einer Spindel in den Finger sticht und tot hinfällt." "Aber ich," rief die zwölfte, die ihren Wunsch noch nicht vergabt hatte, "ich lege ihr, dass es nur ein dem Tode gleichender Schlaf sein soll, aus dem ein Königssohn durch seinen Kuss sie erlösen mag, der mutig durch das Dorngestrüppe dringt, mit welchem ich, nachdem sie und zugleich mit ihr alle lebenden Wesen in der Burg in Todesschlaf hingesunken, das ganze Schloss umgürten werde."
    Aus dem weiteren Verlauf des altbekannten Märchens heben wir nur hervor, dass es die böse Fee, d. h. die grollende Norne selbst ist, welche im höchsten Turmzimmer, als alte Spinnerin verkleidet, dem Mädchen die tödliche Spindel in die Hand spielt, nachdem der König alle Spindeln aus dem Schlosse verbannt hatte. Tiefsinnig und zartsinnig hatte ursprünglich die Sage mit diesem Nornen-Spruch die Geschichte von Gerda und Freyr verknüpft. Dornröslein ist die Sommerwärme und die Sommerlust, welche durch Nornenspruch (d. h. Notwendigkeit) in Erstarrung versinken muss, in todesgleichen Schlaf und mit ihr alles Leben im Schloss, d. h. auf der Erde. Das Dorngestrüpp ist das Gedörnicht, welches den Scheiterhaufen der Toten umgibt, entsprechend der "wabernden Lohe" des Scheiterhaufens. Die Maid gilt als zu Hel hinabgesunken; aber wie Skirnir (oder Freyr) dringt der lichte Königssohn (des Himmelskönigs oder Sigurd), dringt der Sonnenjüngling, der Frühlingssonnenstrahl, sieghaft durch die Umhegung bis in den Schoss der Erde und eckt mit seinem warmen Liebeskuss die nur schlummernde Schöne zu neuem, seligem Leben.
    Dieser Gedankenzusammenhang liegt nun sehr vielen Sagen zu Grunde; nachdem mit der Walhallreligion auch die Nornen vergessen waren, sind in gar zahlreichen Sagen, Märchen, Legenden, Schwänken an Stelle der altgermanischen Schicksalschwestern Feen (nach keltisch-romanischer Färbung) getreten und Geister jeder Art: Nixen, Elben, Zwerge und andre übermenschliche Wesen.
    Nachdem wir dies

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