Walküre
einen Moment lang schweigend in seinem Stuhl zurück, als wolle er während der Vernehmung ein Interpunktionszeichen setzen. »Ich muss zugeben, dass mir Ihre organisatorischen Fähigkeiten sehr imponieren«, sagte er schließlich. »Ihre Planung und Ihr Einzug in die Wohnung unter der von Drescher: äußerst eindrucksvoll. Aber es ist unmöglich – ganz und gar unmöglich –, dass Sie all das in der Zeit seit Ihrer Flucht aus Mecklenburg organisieren konnten. Wer hilft Ihnen, Margarethe?«
Ein weiterer hohler Blick und Schweigen.
»Okay«, seufzte Fabel. »Jens Jespersen. Politiinspektor Jens Jespersen von der Dänischen Nationalpolizei. Eine Frau machte sich in einem Restaurant im Hanse-Viertel an ihn heran und überredete ihn, sich später mit ihr zu treffen. Dann, als sie zusammen im Bett waren, ermordete sie ihn mit einer Injektion Suxamethoniumchlorid. Genau das Mittel, mit dem Sie Georg Drescher bewegungsunfähig gemacht haben. Sie haben gerade erwähnt, dass Major Drescher und seine Stasi-Kollegen Sie in Verschleierungs-, Tarnungs- und Verführungstechniken ausbildeten. Das klingt genau nach den Fertigkeiten, durch die Jespersen in eine verletzliche Position gebracht und ermordet wurde. Vermutlich werden Sie behaupten, auch darüber nichts zu wissen?«
»Ich weiß nichts darüber.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.« Fabel fixierte sie mit einem durchdringenden Blick, der seinen Zweck jedoch verfehlte.
»Es ist mir gleichgültig, ob Sie mir glauben oder nicht.«
»Eine Kollegin von Jespersen befindet sich im Nebenzimmer und verfolgt diese Vernehmung. Seine Vorgesetzte. Sie ist hier, weil Politiinspektor Jespersen in Hamburg war, um Georg Drescher zu suchen. Außerdem ging er Gerüchten nach, dass eine Auftragsmörderin mit dem Codenamen Walküre in Hamburg tätig sei. Das sind verdammt viele Übereinstimmungen, Margarethe.«
Kein Kommentar, kein Achselzucken, kein Mienenspiel.
»Jespersen war hier, um den Mann zu finden, der von Ihnen gejagt wurde. Er wiederum jagte eine Mörderin namens Walküre und wurde mit der gleichen Droge getötet, die Sie Drescher verabreicht haben. Sie haben Jens Jespersen ermordet, stimmt's? Er war Ihnen bei der Erfüllung Ihrer Aufgabe im Weg. Ein Sekundärziel. Oder wie würden Sie es nennen ... ein ungeplantes Treffen?«
Margarethe ignorierte Fabel und wandte sich an Susanne. »Sie sind Kriminalpsychologin?«
»Das wissen Sie bereits.«
»Und Sie haben mit Dr. Köpke gesprochen?«
»Ja.«
»Also halten Sie mich für eine Psychopathin.«
»Ich glaube, dass Sie an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leiden, ja. Aber das ist meiner Meinung nach noch nicht alles. Sie sind nicht bloß psychopathisch, sondern auch psychotisch. Von Wahnvorstellungen erfüllt.«
»Tatsächlich?«, fragte Margarethe. »Dann wissen Sie auch, dass man mich in eine Anstalt stecken wird, wahrscheinlich für den Rest meines Lebens.«
»Ich glaube nicht, dass Sie je wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden können oder dass Ihre Störungen zu heilen sind. Höchstens die Psychose lässt sich medikamentös behandeln. Aber Sie werden für den Rest Ihres Lebens in Gewahrsam bleiben müssen.«
»Obwohl ich Ihrer Diagnose nicht zustimme, Frau Doktor Eckhardt, akzeptiere ich Ihre Sicht meiner Zukunft. Ich werde nie wieder in Freiheit sein. Und wenn ich eine Psychopathin bin, fehlen mir jegliche Zurechnungsfähigkeit und Verantwortlichkeit. Jede Bestrafung ist für mich bedeutungslos. Würden Sie also bitte Herrn Fabel erklären, dass es für mich absolut keinen Sinn hat, ihm etwas darüber vorzumachen, welche Morde ich begangen habe und welche nicht?«
»Es gibt noch andere Gründe für eine Lüge«, sagte Fabel. »Beispielsweise den Schutz anderer. Vielleicht haben Sie nicht allein gearbeitet. Oder Sie haben beschlossen, ein Wiedersehen mit den anderen früheren Walküren zu veranstalten. Das würde erklären, warum Sie so viel Geld und alle möglichen sonstigen Mittel zur Verfügung hatten. Vielleicht war es eine Ihrer Schwestern, von der Jespersen ermordet wurde.«
»Vielleicht«, meinte Margarethe. »Aber davon weiß ich nichts. Und wenn ich es wüsste, würde ich ihnen keine Loyalität schulden. Sie haben mich im Stich gelassen. Nur meine leibliche Schwester ist bei mir geblieben und hat versprochen, alles in Ordnung zu bringen.«
Na also, dachte Fabel. Da war etwas. Zum ersten Mal während der Vernehmung sah er einen Ansatzpunkt. Noch keine Bruchstelle, aber etwas, das man
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