Walküre
an.
»Nichts«, erwiderte sie, offenbar verblüfft über Fabels heftige Reaktion. »Aber wenn sie Ihnen eine Garrotte um den Hals gelegt hat, muss sie Ihnen ziemlich nahe gewesen sein. Von der forensischen Distanz her, meine ich.«
»Ich musste mich frisch machen, das ist alles.« Die Tür öffnete sich, und Fabel nickte Werner zu. »Ich habe mich einfach groggy gefühlt nach dem, was sie mir in die Venen gejagt hat.«
»Ach so ...« Astrid Bremer musterte sein Gesicht. »Geht es Ihnen jetzt besser?«
»Sehr gut.«
»Du siehst total kaputt aus, Jan«, sagte Werner. »Unser Bereitschaftsarzt ist hier. Er möchte dich untersuchen.«
»Wie gesagt, ich fühle mich gut.« Fabels erhobene Stimme ließ den Schmerz in seinem Kopf nur noch stechender werden. »Okay, vielleicht sollte er einen kurzen Blick auf mich werfen.«
»Wir müssen herausfinden, was sie Ihnen gespritzt hat«, erklärte Astrid Bremer. »Der Bereitschaftsarzt wird Sie daraufhin untersuchen wollen, aber ich würde am liebsten auch selbst meine Tests durchführen ... Darf ich Ihnen etwas Blut abnehmen?«
»In Ordnung«, erwiderte Fabel ungeduldig. »Nur zu.« Er krempelte den Ärmel hoch.
»Sie werden dem Arzt, wie üblich bei jedem Hamburger Polizisten, der mit einer Nadel gestochen worden ist, eine zweite Blutprobe für einen HIV-Test geben müssen. So lauten die Vorschriften, auch wenn sie eigentlich nur für Unfälle bei der Durchsuchung von Drogenabhängigen gedacht sind ...«
Sie nahm ihm die Probe ab. »Wissen Sie, in welchen anderen Zimmern sie war? Außer dem Schlafzimmer, meine ich.«
»Worauf wollen Sie hinaus? Glauben Sie, dass ich sie vorher bewirtet hätte?«
»Nur keine Hektik, Chef«, schaltete sich Werner ein. »Astrid macht bloß ihre Arbeit.«
»Ich wollte auf nichts hinaus, Herr Fabel«, sagte sie mit plötzlicher Förmlichkeit.
»Es tut mir leid, Astrid.« Fabel rieb sich den Hals. »Es war eine anstrengende Nacht. Wie spät ist es?«
»Zwanzig nach fünf«, antwortete Werner.
»Mist. Wenn der Medizinmann mit mir fertig ist, werden wir zum Präsidium fahren müssen. Es wird Zeit, alles für die Falle im Alsterpark vorzubereiten.«
»Bleiben wir bei dem Plan?«, fragte Werner. »Ich weiß, was sie dir mitgeteilt hat, aber wir können mit einiger Sicherheit annehmen, dass deine Besucherin die Walküre war.«
»Nein, Werner, heute Nacht ist Liane Kayser hier gewesen. Der Zweck ihres Besuchs bestand darin, mich klar und deutlich wissen zu lassen, dass sie nicht Dreschers Auftragsmörderin war.«
»Wusste sie, dass Drescher tot ist?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Fabel. »Jedenfalls deutete nichts darauf hin. Aber sie war sich sicher, dass ich den Namen Drescher kenne. Eines steht fest: Sie ist nicht die Walküre. Das ist Anke Wollner. Liane Kayser ist heute Nacht hierhergekommen, weil sie ein Leben hat, das sie schützen will. Sie hat nichts preisgegeben. Oder nur eine Sache, wenn auch unabsichtlich.«
»Und zwar?«
»Ich habe den Eindruck, dass sie als Kind misshandelt oder vergewaltigt worden ist. Ihre Persönlichkeit hat sich durch irgendein Trauma so verändert, dass sie zu einer Kandidatin für das Walküre-Projekt wurde.«
»Wieso?« Astrid Bremer sah Fabel verwundert an. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ich bin mir nicht sicher«, log Fabel. »Es sind nur ein paar ihrer Bemerkungen darüber, wie Frauen von Männern behandelt werden ... Wie gesagt, es ist bloß ein Eindruck.«
8.
Es ist so ähnlich wie die Vorbereitung eines Drehorts für einen Film, dachte Fabel. Alles erweckte den Anschein der Normalität, doch nichts war das, was es zu sein schien. Und niemand war der, für den er sich ausgab.
Es war seltsam, eine Großaktion nur ein paar Hundert Meter von seiner früheren Wohnung durchzuführen. Diese Gegend war ihm so vertraut.
Fabel, Codename Kaiser eins, befand sich in der dritten Etage einer der Nobelvillen am Harvestehuder Weg, von der man über die Bäume, den Alsterpark und die Außenalster hinausblicken konnte. Die Polizei Hamburg hatte die Erlaubnis des Eigentümers zur Benutzung der Villa erhalten, eines prominenten Geschäftsmanns, der seine Bereitschaft, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, deutlich machen wollte. Ein besserer Beobachtungspunkt ließ sich nicht finden, denn von hier aus konnte Fabel mit dem Feldstecher fast alles im Auge behalten, was sich in der unmittelbaren Umgebung des Fährdamms abspielte. Der Fährdamm diente als Anlegestelle für die kleinen rot-weißen
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