Walküre
Kayser, nicht Anke Wollner. Sie willst du haben, nicht mich. Ich habe nicht für Georg Drescher gearbeitet. Seit dem Fall der Mauer führe ich mein eigenes Leben und tue, was ich selbst möchte. Ich bin keine Auftragsmörderin. Oder jedenfalls nicht mehr. Und das, woran ich früher beteiligt war, geht dich nichts an. Aber du musst wissen, dass ich immer noch all die Fertigkeiten besitze, die sie mir beigebracht haben. Ich könnte dich jetzt sofort erledigen, das weißt du doch, Jan?«
Er nickte wieder.
»Ich werde die Garrotte lockern, damit du sprechen kannst. Wenn du auf dumme Gedanken kommst, werde ich sie wieder straffen, aber diesmal bis zum Ende. Sie hat einen Gleitschieber, was bedeutet, dass ich sie zuziehen und dann verschwinden kann: Die Schlinge wird sich straffen, und du kannst nicht verhindern, dass du dich selbst erdrosselst. Nicht einmal ich werde dich befreien können, wenn ich sie ganz und gar zugezogen habe. Verstehst du mich?«
Fabel nickte noch einmal. Die Schlinge lockerte sich, und er schnappte nach Luft. Sie berührte ihn immer noch dort unten. Streichelte ihn.
»Nimm die Hand weg!« Seine Stimme krächzte und war trotzdem nachdrücklich.
»Warum?«, fragte sie. »Es scheint dir Spaß zu machen.«
»Nimm die Hand sofort weg.«
Nach einer letzten, langen Liebkosung zog sie die Hand zurück.
»Wenn du deinen Bericht erstattest, wirst du dann auch darüber schreiben? Wie hart du für mich warst? Wie ich dich berührt habe?«
Ihre Hand lag wieder auf ihm, und er packte ihr Gelenk. Sie bestrafte ihn, indem sie ihm die Luftzufuhr abschnürte.
»Lass mich los«, befahl sie. Wieder verringerte sich der Druck der Garrotte, als er sich fügte. »Wirst du es ihnen verraten? Sie werden fragen, ob du hart warst. Ob du Spaß daran hattest. Und ob du etwas getan hast, um mich zu ermutigen. Ob du mich in dein Bett eingeladen hast, ohne mich zu kennen. Und deine Partnerin, Susanne ... Wirst du es ihr gestehen? Die Zweifel werden sich nie legen. Man wird hinter deinem Rücken flüstern. Und Susanne wird sich nie ganz sicher sein.« Sie ließ die Hand wieder fallen. »So ist es für Frauen. Dauernd. Jedes Mal, wenn eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt oder sexuell genötigt wird.«
»Das ist Blödsinn.« Die Garrotte ließ Fabels Stimme hoch und schrill klingen. »Ich kenne die Wahrheit und brauche deine Amateurvorstellung nicht. Ich habe so viel Gewalt gegen Frauen gesehen und weiß, was in Wirklichkeit geschieht.«
»Aber hat es dir Spaß gemacht, Jan?« Sie flüsterte immer noch verführerisch in sein Ohr. Dachte sie vielleicht, dass er ihre Stimme erkennen würde? »Eine kleine Handmassage? Wusstest du, dass Damen der Gesellschaft im viktorianischen England dauernd ohnmächtig geworden sind? Das galt als nichts Besonderes. Es wurde weiblicher Hysterie‹ zugeschrieben. Ein echtes Phänomen. Und weißt du, worum es sich handelte?«
Fabel antwortete nicht, und sie zerrte an der Schlinge. »Ich habe dir eine Frage gesteilt...«
»Nein«, sagte Fabel mit kratzender Stimme.
»Um sexuelle Unterdrückung. Im viktorianischen England durften Frauen keine Freude am Sex haben. Sonst, so redete man ihnen ein, müssten sie sich schmutzig fühlen. Daher wurde ›das Phänomen der weiblichen Hysterie‹ zu einer anerkannten medizinischen Tatsache. Weißt du, wie sie kuriert wurde? Ein Arzt vollzog eine Unterleibsmassage, bis die Frau einen sogenannten hysterischen Paroxysmus bekam. Mit anderen Worten, der Familienarzt befriedigte sie mit der Hand. Ist das zu glauben? Und währenddessen suchten viktorianische Engländer in viel höherer Zahl als heute Prostituierte auf. Hier in Norddeutschland waren wir nicht viel besser. Wenigstens wusste man im Süden ein bisschen mehr über Sex.«
»Du bist doch nicht hierhergekommen, um dich über viktorianische oder wilhelminische sexuelle Verirrungen auszulassen. Was willst du?«
»Leg dich auf den Bauch. Los.« Fabel gehorchte. Sie drückte seinen Kopf mit Gewalt zur Seite. Weg von ihr. »Wenn du mein Gesicht siehst«, erklärte sie, »muss ich dich töten. Ich bin wegen der Nachricht in Muliebritas hier.«
»Was für eine Nachricht?«, fragte Fabel, dessen Wange im Kissen vergraben war.
»Du weißt, was für eine Nachricht.« Sie zog die Garrotte strammer zu als je zuvor. Nachdem sie die Schnur wieder gelockert hatte, schien Fabels Lunge nach Sauerstoff zu schreien.
»Das Zitat aus der Njalssaga«, keuchte er. »Meinst du das?«
»Hast du es
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