Walküre
und ständig über die Schulter blicken, um nach einer Journalistin Ausschau zu halten, die ihr wegnehmen wollte, was sie sich so mühsam erarbeitet hatte. Nach einer Journalistin ihres eigenen Schlages. Nach einer Frau, die Nachrichten erzeugen würde, um sie dann zu entdecken.
Als Sylvie die Kälte nicht mehr ertragen konnte und sich völlig wach fühlte, stellte sie die Dusche ab, hüllte sich in den Hotelbademantel, ging in ihr Schlafzimmer und schraubte den Verschluss eines Ginfläschchens aus der Minibar auf. Sie wohnte in einem der älteren Berliner Hotels, das eine verschlissene, müde Herrlichkeit ausstrahlte. Die Räume hatten die Doppeltüren alten Stils. Die innere Tür öffnete sich ins Zimmer, die äußere hinaus in den Korridor. Auch die Fenster waren vom alten, robusten Typ. Dadurch erweckte das Hotel den Anschein, einem früheren Zeitalter anzugehören und eine Art Anstalt zu sein.
Nachdem sie den Gin mit Tonic verdünnt hatte, ließ sie sich auf das riesige Bett sinken und widmete sich der Aufstellung, die sie von Wengert, dem prominentensüchtigen Angestellten der BStU, erhalten hatte. Als sie die Namen der Personen, die in der Zwischenzeit gestorben waren, gestrichen hatte, standen noch rund ein Dutzend Personen auf der Liste, die alle irgendeine Verbindung zu Drescher aufwiesen. Doch die Verbindungen konnten, wie Wengert betont hatte, rein zufällig sein. Drescher oder jemand anders hatte dafür gesorgt, dass die wichtigsten Akten verschwanden. Aber Sylvie wusste, dass sich unter den zwölf Namen die Spur verbarg, nach der sie suchte. Und vielleicht führte diese Spur zu Siegfried, dem ehemaligen Stasi-Halunken, der ihr die Fotos und Dreschers Namen hatte zukommen lassen. Sie holte ihr Notizbuch hervor und trug dort die plausibelsten Personen ein. Sie besaß Adressen von zweien, eine Teiladresse für eine andere und lediglich einen Ort für die vierte. Mal sehen, wie mühsam es sein würde, sie aufzuspüren. Je leichter man die Person auffinden konnte, desto unwahrscheinlicher war es, dass es sich um Siegfried handelte.
Sie wollte gerade die Adressen überprüfen, als ihr Handy klingelte.
»Hallo Sylvie, hier ist Ivonne. Ich habe mehr Material über Norivon, die Firma, für die das neueste St.-Pauli-Opfer gearbeitet hat.«
»Irgendetwas Interessantes?«
»Im Grunde nicht. Eigentlich könnte es kaum langweiliger sein. Norivon ist ein Umwelttechnologieunternehmen, das zugleich im Entsorgungsbereich tätig ist. Aber ich habe ein paar neue Informationen von meiner Kontaktperson bei der NeuHansa erhalten. Nach ihrer Einschätzung war Armin Lensch, der Knabe, der umgelegt wurde, ein Arschloch erster Klasse und wurde von allen verabscheut. Anscheinend ein ehrgeiziger Mistkerl, dem es nichts ausmachte, anderen auf die Zehen zu treten. Er war für die Zusammenarbeit mit den anderen Unternehmen der NeuHansa Group verantwortlich und hatte einen Ruf als Arschkriecher gegenüber Vorgesetzten.«
»Noch etwas?«
»O ja, und zwar das Beste. Seine kleinen Ausflüge auf die Reeperbahn spielten sich regelmäßig ab. Er ging oft mit mehreren Arbeitskollegen los, von denen ihn übrigens keiner ausstehen konnte, ließ sich total volllaufen und wurde dann noch unausstehlicher als sonst. Am Abend seiner Ermordung hatte er einen Zusammenstoß mit den Gesetzeshütern. Zwei Polizisten in Zivil waren gerade dabei, eine Frau in der Silbersacktwiete zu verhaften, als Lensch ankam und eine große Lippe riskierte. Dafür wurde ihm ein Knie in die Eier gestoßen. Von der Polizistin.«
»Wen haben sie verhaftet?«
»Das weiß ich nicht, aber sie gehörten zur Mordkommission.«
»Wie sah die Polizistin aus? Recht klein, hübsch, dunkle Haare?«
»Keine Ahnung.«
»Anna Wolff«, sagte Sylvie eher zu sich selbst als zu Ivonne. »Bitte?«
»Unwichtig. Gut gemacht, Ivonne. Ich habe ein paar Namen und Teiladressen für dich. Könntest du sie nachprüfen und so viele Informationen wie möglich über sie einholen?«
»Klar«, erwiderte Ivonne.
Sylvie fasste die Einzelheiten zusammen, die Wengert ihr mitgeteilt hatte. »Wir suchen einen männlichen Stasi-Angehörigen, wahrscheinlich vom Verwaltungspersonal in der Lichtenberger Zentrale.«
»In Ordnung. Aber da war noch was ... Nein, ich komme nicht darauf.«
»Ruf noch mal an, wenn es dir einfällt.«
Sylvie beendete das Gespräch und sortierte die Papiere auf dem Bett, als das Handy erneut klingelte. »Das ging ja schnell«, sagte sie. »Also was war es?«
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher