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Walkueren

Walkueren

Titel: Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Þráinn Bertelsson
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über Schuld und Unschuld möchte niemand hören. Das Tribunal der Straße verzichtet auf eine faire Untersuchung des Falls, braucht keine Zeugenaussagen. Es urteilt auf der Basis von Klatsch, Gerüchten, übler Nachrede und begründet sein Urteil mit leidenschaftlichem Gerechtigkeitsempfinden. Es urteilt nicht nach Indizien, sondern nach der gesellschaftlichen Stellung der Beteiligten, und misstraut den Starken, Reichen und Mächtigen, die durch ihre Taten sprechen. Das Tribunal der Straße solidarisiert sich mit der Eifersucht, dem Hass und der Verbitterung der Neider von Wohlstand, Mut und Fleiß.
    Wer vor das Tribunal der Straße gezerrt wird, hat keinen Anspruch auf einen Verteidiger. Wem einmal der Nachttopf über dem Kopf ausgeleert wurde, dem haftet Uringeruch an, ungeachtet seiner Schuld oder Unschuld.
    Plötzlich hörte er hinter sich Vogelgezwitscher. Magnús erschrak bei dem Geräusch. Es konnte sich wohl kaum ein Vogel durchs Fenster verirrt haben. Mitten im Winter. Nur langsam schaltete er. Es war das Klingeln seines Handys in seiner Jackentasche. Hanna Dís änderte ständig die Klingeltöne in seinem Handy. Sie beteuerte, ein normaler Klingelton sei lächerlich, und klassische Musik, wie etwa die Ouvertüre aus Wilhelm Teil, die er anregend und hübsch fand, sei noch geschmackloser.
    Magnús fischte das Handy aus seiner Jackentasche.
    »Magnús«, antwortete er, ohne auf die Nummer des Anrufers zu achten. Das war er nicht gewöhnt. Nur wenige kannten seine Privatnummer.
    »Die Sache ist nicht so einfach«, sagte die Stimme am Telefon.
    »Wie?«
    »Es ist nicht auffindbar, und wir suchen schon …«
    Magnús schnitt seinem Gesprächspartner das Wort ab und sagte: »Ich möchte nicht wissen, wo ihr gesucht habt und was ihr gemacht habt. Die Sache läuft nicht in meinem Auftrag oder auf meine Verantwortung. Ich will es nur haben, und fertig. Kein weiteres Wort darüber.«
    »Ich bezweifle langsam, ob sie es wirklich schon geschrieben hat.«
    »Da gibt’s nichts zu zweifeln. Ich hab einen Auszug per E-Mail bekommen.«
    »Per E-Mail?«
    »Ja. Heute Morgen. Lässt sich so was rückverfolgen?«
    »In den meisten Fällen ist das sicher möglich – es sei denn, es wurden spezielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Ich kann dir einen Jungen vorbeischicken, ein Computergenie, wenn auch ein bisschen weltfremd.«
    »Schick ihn sofort her.«
    »Vor heute Abend läuft da gar nichts.«
    »Nicht später als fünf«, sagte Magnús und legte auf. Er kannte jede Menge Leute und hatte viele Kontakte.
    Es sah nicht gut aus. Er öffnete die E-Mail noch einmal, klickte auf »Antworten« und schrieb die folgende Nachricht an den Absender mit der Adresse [email protected]:
     
    Falls es wirklich möglich ist, zu verhindern, dass sich meine Exfrau öffentlich lächerlich macht, bin ich bereit, das Angebot in Erwägung zu ziehen. MM
19
Besser spät als nie
    Terje quälte sich gerade durch einen Artikel in einem abgegriffenen dänischen ›Hjemmet‹-Heft, in dem eiskalt behauptet wurde, der dänische Thronfolger habe mit einem australischen Mädchen angebandelt, als Guðrún wieder auftauchte. Er hatte erwartet, sie leichenblass und mit verbundenem Kopf zu sehen, aber überraschenderweise wirkte sie fast fröhlich, und die Wunde unter dem hautfarbenen Pflaster am Haaransatz war unauffällig.
    »Wartest du etwa auf mich?«, fragte sie und machte ein erstauntes Gesicht.
    »Ja, auf wen denn sonst?«, antwortete er.
    »Ich hab gar nicht gewusst, dass du so ritterlich bist«, sagte sie. »Vielen Dank, aber ich hätte natürlich auch ein Taxi nehmen können.«
    »Eben war ich noch ein Trampeltier. Jetzt bin ich ein Ritter. Wenn das keine Entwicklung ist! Natürlich fahre ich dich nach Hause«, sagte Terje und fügte hinzu: »Wo ist dein Mann?«
    »Bergþór ist wieder auf seiner Station, bei seiner Arbeit, und ich gehe jetzt wieder zu meiner Arbeit.«
    »Und wenn du eine Gehirnerschütterung hast?«
    »Dann möchte ich lieber einen Ritter an meiner Seite haben, als allein zu Hause zu sitzen«, antwortete sie.
    »Außerdem halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass ich heute noch einen weiteren Schlag abbekomme.«
    »Ich soll zurück nach Álfheimar fahren«, sagte Terje. »Theódór durchsucht die Wohnung. Jón und Marinó befragen die Bewohner des Wohnblocks, ob jemand etwas gesehen hat. Heute Morgen oder vorletzte Nacht oder irgendwann.«
     
    Theódór und Erla, die neue Mitarbeiterin aus der Technischen Abteilung,

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