organisieren könnte. Er verfolgte die isländischen Nachrichten aufmerksam und freute sich jeden Morgen darauf, den Computer einzuschalten und sich an den Fehlern seiner Exkollegen zu ergötzen.
Das Büro des Botschafters befand sich im selben Gebäude wie sein Wohnsitz. Wenn Kjartan morgens nicht ausschlief, um sich von den Amtspflichten des vergangenen Abends zu erholen, schlüpfte er einfach nur in Bademantel und Hausschuhe und rief seine E-Mails und die isländischen Nachrichtenseiten auf.
Er öffnete die E-Mails der Reihe nach und leitete die meisten weiter an die Botschaftssekretärin, die sich morgens um alles kümmerte, während die Aktivitäten des Botschafters sich eher über die Nachmittags- und Abendstunden erstreckten. Gerade wollte er eine Mail mit dem Betreff VERTRAULICH weiterleiten, stutzte jedoch im letzten Moment und las die Nachricht Wort für Wort, auch wenn der Anfang bloß dummes Gewäsch war.
»Frauen fungieren seit Menschengedenken als Konsumgüter der Männer … Bewertet werden sie nach ihrem Aussehen, nicht nach ihrem Charakter … Lustobjekte, Sexsklavinnen und Statussymbole ihrer Ehemänner … für ihn an der Zeit, Sexpartnerin und Statussymbol zu erneuern – mit anderen Worten, sich von seiner Ehefrau zu trennen und sich eine jüngere Ausgabe zu suchen.
Jene Ehemänner und Konsumenten heißen Magnús Magnússon, Geschäftsmann, und Kjartan A. Hansen, Botschafter und ehemaliger Minister.«
… Aber unter Rücksichtnahme darauf, dass eine Veröffentlichung des Buches einigen Personen, beispielsweise dir, Kummer, Rufschädigung oder gar konkrete finanzielle Verluste zufügen könnte … fünfhunderttausend Euro, zahlbar innerhalb einer Woche …
Sämtliche Versuche, den Absender dieser E-Mail aufzuspüren, machen das Angebot ungültig und führen dazu, dass das Manuskript umgehend der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Obwohl Kjartan A. Hansens wichtigster Lebens- und Arbeitsgrundsatz war, vor dem Mittagessen nichts zu trinken, erhob er sich von seinem Stuhl, ging zur Anrichte und schenkte sich einen Wodka ein. Er leerte das Glas in einem Zug, schenkte erneut ein, ging mit dem Glas in der einen und der Flasche in der anderen Hand zu seinem Schreibtisch und stellte beides auf den Tisch neben seinen Computer.
Die Mail von
[email protected] leitete er weiter an die Adresse
[email protected]. Anschließend griff er nach dem Haustelefon.
»Hallo. Verbinde mich mit dem Justizminister, es ist dringend. Sehr dringend.«
»Mit dem isländischen Justizminister?«, fragte die Sekretärin.
»Nein, mit dem von der Elfenbeinküste«, entgegnete Kjartan A. Hansen. »Was ist das für eine dämliche Frage? Selbstverständlich will ich mit Daniel Daðason, dem isländischen Justizminister, sprechen. Gibt’s hier noch irgendjemanden mit einem Funken Verstand?«
Dann legte er auf und wartete auf die Verbindung mit Daniel.
Sie waren Cousins.
17
Dringliches Meeting
Justizminister Daniel Daðason benutzte das Wort »Meeting« für nahezu jeglichen zwischenmenschlichen Kontakt während der Arbeitszeit. Auch wenn er mit seinem Assistenten zu einem Plausch beisammensaß, hieß es, er befinde sich in einem »Meeting«. Bereits nach wenigen Wochen Amtszeit war es ihm gelungen, sämtlichen Mitarbeitern des Ministeriums anzugewöhnen, ihn mit »Herr Minister« anzusprechen. Den Intelligentesten unter ihnen brachte er bei, dies in der dritten Person zu tun: »Darf ich den Herrn Minister fragen? Ich stimme dem Herrn Minister zu!« Daniel war der festen Überzeugung, dass es keineswegs ausgeschlossen sei, den Isländern Manieren beizubringen – wie anderen Nationen auch –, wenn man es nur richtig anpackte.
Der Justizminister war arbeitsam und betrachtete seine Zeit als äußerst kostbar, weshalb er ausschließlich »dringliche Meetings« abhielt; weniger dringende Angelegenheiten überließ er seinen Mitarbeitern, bis sie entweder vergessen oder so dringend geworden waren, dass er sie selbst klärte.
Kein Mensch im Ministerium wäre je auf die Idee gekommen, ohne eine eindeutige Anweisung des Justizministers eine Entscheidung zu treffen, am besten eine schriftliche Anweisung, denn es gab Beispiele dafür, dass sich der Minister nicht daran erinnern konnte, eine Entscheidung getroffen zu haben, es sei denn, sie war schriftlich dokumentiert oder von ihm unterschrieben oder zumindest mit seinem Kürzel versehen. Dieser Unterschriftenwahn der Mitarbeiter führte dazu, dass