Walkueren
Abwesenheit verschoben worden wären. Außerdem wählen Elín und ich die Kollegen, die mit zu den Meetings kommen, jedes Mal selbst aus. Es ist also gar nicht selbstverständlich, davon auszugehen, dass Víkingur an unseren Treffen teilnimmt.«
»Wir sollten uns nicht über bürokratische Petitessen streiten«, sagte der Justizminister. »Es handelt sich hier um formlose Gesprächsrunden, Informationsaustausch, und es werden die Themen diskutiert, die gerade anstehen.« Er dachte darüber nach, den Satz mit einem »mutatis mutandis« abzuschließen, ließ es aber bleiben und fuhr fort: »Übrigens hatte ich kürzlich ein informelles Treffen mit dem Hauptkommissar, unter vier Augen, bei dem ich ihn darauf hingewiesen habe, dass bei den besagten Vorbereitungen möglicherweise unmenschliche Belastungen auf ihn zukämen, die ihn noch mehr unter Druck setzen würden, wenn man bedenkt, dass er erst kürzlich im Dienst verletzt wurde und nicht ganz auf der Höhe ist.«
»Nicht ganz auf der Höhe?«, fragte Lúðvík. »Der Mann ist topfit. Er hat sich letzten Herbst einen Finger gebrochen, als der Russe aus der Volksbank auf ihn geschossen hat. Und er hatte eine Rauchvergiftung. Zwei Tage später war er wieder bei der Arbeit.«
»Gut möglich«, entgegnete der Justizminister. »Aber bezüglich der Beauftragung Víkingur Gunnarssons mit der Leitung der Sicherheitsabteilung mache ich mir weniger Gedanken über seine körperliche Gesundheit als über seine seelische. Dir als seinem Vorgesetzten ist vermutlich bekannt, dass der Hauptkommissar regelmäßig Psychopharmaka einnimmt?«
Polizeidirektor Lúðvík Ásmundsson riss ungläubig die Augen auf.
21
Katzen in der Nacht
Die alte Dame kam wieder zur Tür und löste die Sicherheitskette. Sie schien sich von der Gültigkeit der Ausweise überzeugt zu haben, denn sie öffnete und bat sie hinein.
»Das sind ja nun wirklich keine eindrucksvollen Papiere«, sagte sie, als sie ihnen die Ausweise zurückgab.
»Bist du Bára Thomsen?«, fragte Terje.
»Niemand kann mehr siezen«, sagte die alte Frau. »Als ich seinerzeit unser Heim einrichtete, konnten noch alle siezen, zumindest die Angestellten im öffentlichen Dienst. Mein Mann war Beamter. Bürovorsteher beim Elektrizitätswerk.«
Dann schaute sie Terje an und sagte: »Ja, ich bin Frau Bára Thomsen. Bitte kommt ins Wohnzimmer und nehmt Platz.«
Wie artige Kinder zogen beide ihre Schuhe an der Wohnungstür aus und folgten der alten Dame auf Socken in den Flur.
Die Wände im Flur und im Wohnzimmer waren von Bücherregalen und Gemälden bedeckt. Guðrún, die sich für Kunst interessierte, war begeistert. Dort hingen Gemälde und Zeichnungen von Þorvaldur Skúlason, Kjarval, Ásgrímur, Finnur Jónsson, Svavar Guðnason, Kristján Davíðsson und anderen Meistern der letzten Jahrhunderte.
»Ich habe noch nie eine so großartige Gemäldesammlung in einer Privatwohnung gesehen«, sagte Guðrún. »Das ist ja einmalig.«
»Ja, gute Bilder können viel Freude bereiten«, entgegnete Frau Bára Thomsen und bat sie, auf einem Sofa mit Seidenbezug unter einem großen Þingvellir-Gemälde von Kjarval Platz zu nehmen. »Mein Mann pflegte mir an jedem Hochzeitstag ein Bild zu schenken. 1976 habe ich das letzte Gemälde bekommen. Er verstarb am 3. Oktober.«
Das Wohnzimmer hätte die Kulisse für ein Theaterstück über Wohlstand und Kultur des Bürgertums Mitte des 20. Jahrhunderts sein können.
»Darf ich euch Kaffee anbieten?«, fragte Frau Bára, die neben dem Couchtisch stand und sie musterte.
»Nein, danke«, antwortete Terje. Guðrún fand, dass er das Angebot zu voreilig ablehnte. Sie hatte das Gefühl, die Sache könnte länger dauern.
»Wir sind im Dienst«, erklärte sie entschuldigend, »und haben noch viel zu tun, wir möchten dir keine unnötigen Umstände bereiten.«
Die alte Frau schaute zu dem bequemen Lehnstuhl am Fenster, setzte sich dann aber auf die andere Seite des Couchtischs.
»Eine Rakete wurde durchs Fenster geschossen«, sagte sie. »So etwas tut man nicht, auch nicht an Silvester. Deshalb habe ich bei der Polizei angerufen. Die Gardine hat Feuer gefangen; das hätte schlimm ausgehen können. Aber ich war zu Hause und konnte das Feuer rechtzeitig löschen.«
»Ein Glück«, sagte Guðrún.
»Das hatte ich aber nicht der Polizei zu verdanken«, erwiderte Frau Bára.
»Nein, ich verstehe«, sagte Guðrún. »Aber die Polizei kann nicht immer überall sein. Wir sind wegen einer anderen Sache
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