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Walkueren

Walkueren

Titel: Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Þráinn Bertelsson
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hier.«
    »Das musst du mir nicht erklären«, sagte die alte Frau. »Ich bin zwar schon dreiundneunzig, aber noch gut bei Verstand, was man von vielen Jüngeren nicht behaupten kann.«
    Terje wollte etwas sagen, aber Guðrún stieß ihn mit dem Ellbogen an. Sie war fest entschlossen, das Gespräch mit dieser bemerkenswerten Frau selbst in die Hand zu nehmen.
    »Wir sind hier, weil wir in einem Todesfall ermitteln. Wir versuchen herauszufinden, wie es dazu gekommen ist. Kennst du eine Frau namens Freyja Hilmarsdóttir?«
    »Nein, ich habe sie nicht gekannt«, sagte die alte Frau.
    »Aber du weißt, wer sie war?«
    »Natürlich weiß ich, wer sie war. Sie wohnte ja in dem Wohnblock hier gegenüber. In der ersten Etage. Sie war eine bekannte Person, über die viel in der Zeitung stand. Sie war sogar im Parlament – was nie hätte passieren dürfen.«
    »Warum meinst du das?«
    »Weil ihr Auftreten und ihre Ausdrucksweise, die vielleicht zu irgendwelchen Straßenjungs gepasst hätten, beschämend waren. Es gibt zwar vereinzelt Männer, die sich unehrenhaft verhalten, aber Frauen dürfen das nicht. So habe ich es zumindest gelernt.«
    »Da sind wir uns einig.« Terje konnte sich seinen Kommentar nicht verkneifen.
    Frau Bára schaute ihn mitleidig an.
    »Das bezweifle ich«, sagte sie. »Wenn du glaubst, wir seien einer Meinung, dann hast du mich wahrscheinlich falsch verstanden. Wenn du glaubst, ich würde meinen, dass sich die Frau dem Mann unterordnen soll, dann irrst du dich. Ich glaube, dass Frauen den Männern in vielen Bereichen überlegen sind, und dort sollen sie glänzen, anstatt zu versuchen, sich mit den Männern in Kraftausdrücken und Flegelhaftigkeit zu messen. Wir müssen versuchen, die Männer heranzubilden und zur Vernunft zu erziehen, und nicht ihre Dummheiten nachäffen.«
    Guðrún merkte, dass Ellbogenstöße jetzt nicht mehr ausreichten, um Terje zum Schweigen zu bringen, weshalb sie versuchte, unauffällig gegen sein Bein zu treten.
    »Versuch nicht, den Jungen zum Schweigen zu bringen, meine Liebe«, sagte die alte Dame. »Wenn er etwas sagen möchte, bin ich mir nicht zu fein, ihm zu antworten.«
    Terje ließ sich auch gar nicht abbringen: »Da stimme ich ebenfalls voll und ganz mit dir überein.«
    »Das ist schön, mein Lieber«, sagte die alte Dame. »Aber vielleicht solltest du die junge Frau jetzt trotzdem reden lassen.« Dann wandte sie sich an Guðrún und sagte: »Ich habe im Radio gehört, dass diese Freyja verstorben ist, und jetzt erzählst du, es würde in einem Todesfall ermittelt. Was heißt das denn genau?«
    »Das ist eigentlich vertraulich«, sagte Guðrún. »Aber unter uns kann ich dir sagen, dass zuerst alles nach einem Selbstmord aussah, aber dann ist das eine oder andere ans Licht gekommen, sodass wir den Fall nun genauer untersuchen müssen.«
    »Ich habe sie vorgestern Abend aus dem Haus gehen sehen. Danach ist sie wohl nicht mehr nach Hause gekommen. Ihr Auto hat auch nicht mehr auf dem Parkplatz gestanden. Sie hat immer direkt vor der Treppe geparkt. Manche Leute tun einfach keinen Schritt zu viel.«
    Diese präzise Antwort überraschte sie beide.
    »Weißt du vielleicht, wie spät es war, als du sie hinausgehen sehen hast?«, fragte Terje.
    »Natürlich weiß ich das«, antwortete die alte Frau. »Es war kurz nach Mitternacht. Ich schätze, zehn oder fünfzehn Minuten nach zwölf. Ich fand das eine ungewöhnliche Zeit für eine Reise.«
    »Wieso?«
    Die alte Frau stöhnte über die dumme Frage und antwortete: »Wer verreist denn um zwölf Uhr nachts?«
    »Ich meine, warum dachtest du, sie würde verreisen?«
    »Weil der Mann neben ihr eine große Tasche getragen hat. Kein normaler Koffer, wie man sie früher hatte, sondern so ein großer Beutel.«
    »Ein Mann war bei ihr?«
    »Ja. Habe ich doch gesagt.«
    »Und hast du den Mann gesehen?«, warf Terje ein.
    »Sonst hätte ich euch wohl kaum von ihm erzählen können«, erklärte Frau Bára. »Glaubst du vielleicht, ich würde Geschichten über meine Nachbarn erfinden?«
    »Nein, keineswegs«, beeilte er sich zu sagen. »Ich meine, hast du ihn so genau gesehen, dass du ihn beschreiben könntest?«
    »Das kommt darauf an, was du unter genau verstehst«, sagte die alte Dame. »Ich habe ihn genau genug gesehen, um zu erkennen, dass es ein Mann war, aber nicht gut genug, um sein Äußeres exakt beschreiben zu können. Es war dunkel, aber bis tief in die Nacht hinein sternenklar. Gegen Morgen hat es sich dann

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