unheilverkündendes Omen, Dressman in den Sinn. Keiner hatte so hartnäckig gegen ihre Fusions-, Spar- und Modernisierungspläne angekämpft wie der Reykjavíker Polizeidirektor, der wie ein Hund sein Revier bewachte und verteidigte, wie eine trotzige, blöde Bulldogge, die nicht weiß, dass Wachhunde eine aussterbende Erscheinung sind, denn Bewegungsmelder und Überwachungskameras müssen nie schlafen, brauchen kein Futter, keine Streicheleinheiten und müssen nicht Gassi geführt werden.
Einen Augenblick tauchte das Bild vor ihr auf, wie sie den Laugavegur hinunterging, vor ihr an der Leine tapsend, lächelnd und glücklich, der Polizeidirektor, und die Leute zeigten lachend auf sie, als er sich plötzlich in den Rinnstein hockte und die Hose herunterließ. »Das musst du aber nachher wegmachen«, rief einer der Gaffer. Das Bild verschwand. Die Modernisierung des Polizeiapparats war ihre Mission.
In ihrer Einsamkeit als Vorgesetzte hielt sich Elín an die Devise, ihren Mitarbeitern keine Gelegenheit zu geben, sie näher kennenzulernen. Ihr Kontakt zu ihnen war ein rein beruflicher. Sie stellte sich jedoch vor, dass sich dies in Zukunft ändern würde. Wenn die Landespolizeibehörde für das ganze Land zuständig wäre. Dann könnte sie die Mitarbeiter selbst aussuchen, und das Arbeitsklima würde sich ändern. Sie wäre eine von ihnen. Vorgesetzte und Führungsperson zwar, aber eine Vorgesetzte, der die Mitarbeiter Respekt zollten, weil sie gesehen hatten, dass sie mit anpacken konnte, und wussten, wozu sie fähig war. Sie war knallhart. Kein verzogenes Gör aus der Oberschicht, das auf Staatskosten ein gefährliches Spielzeug in die Hand bekommen hatte.
Der einzige Mitarbeiter, der ganz nach Elíns Geschmack war, arbeitete seit zweieinhalb Jahren in der Behörde. Er trug die Dienstbezeichnung »Spezialist«, weil sein MBA-Titel sich nicht in das veraltete Vergütungssystem der Behörde einfügen ließ – noch nicht. Eysteinn Brandsson traf schnell Entscheidungen. Er übernahm bereitwillig neue Aufgaben. Er trat überzeugend auf und konnte gut reden. Und er hatte Manieren. Was für eine gut erzogene, viel gereiste Frau, die während ihrer Arbeitszeit ansonsten überwiegend von Trantüten oder Fachidioten umgeben war, zweifellos eine Rolle spielte.
Deshalb war Elín unangenehm überrascht, als ein winziger Fall, den Eysteinn nach eigener Aussage bereits geklärt hatte, auf einmal zu einer Erpressermail in den Händen des verstörten Justizministers geworden war. Falls es einen Mann in der Politik gab, mit dem sie sich gutstellen wollte, dann war es Justizminister Daniel Daðason – ungeachtet der abwegigen Ideen, die er manchmal von sich gab.
Sie legte die ausgedruckte E-Mail vor sich auf den Tisch. Es war überflüssig, das Blatt in eine Plastikhülle zu stecken, auf einer E-Mail befanden sich keine Fingerabdrücke des Absenders. Sie betätigte eine interne Telefontaste und sagte zu ihrer Sekretärin:
»Bitte ruf Eysteinn Brandsson an und sag ihm, dass ich mit ihm sprechen möchte. Gleich.«
Als Eysteinn eine Sekunde später die Nachricht erhielt, er solle ins Büro der Polizeichefin kommen, war ihm auf Anhieb klar, dass gleich aus ihrem Munde so viel wie 50 fort oder auf der Stelle bedeutete. Daher stand er schon auf der Matte, bevor sie sich überhaupt zurechtlegen konnte, was sie ihm zu sagen hatte. Eysteinn machte ein neugieriges Gesicht. Er ging nicht davon aus, dass die Polizeichefin diesen plötzlich anberaumten Termin dazu nutzen wollte, den Entwurf seiner neuen Uniform zu besprechen.
»Nimm bitte Platz«, sagte Elín und deutete auf einen der beiden Holzstühle gegenüber ihrem Schreibtisch. Diese Besucherstühle hatten keine Polster und waren aus Hartholz. Die Mitarbeiter der Behörde, denen dort ein Platz angeboten wurde, erwartete nichts Gutes. Sie nannten sie Folterbänke, denn wenn Elín ihre Mitarbeiter in friedlicher Absicht zu einer Unterredung bestellte, erhob sie sich meist von ihrem Schreibtisch und führte sie in die Sofaecke.
Eysteinn ließ sich auf einer Folterbank nieder.
Elín musterte ihn und musste plötzlich daran denken, wie sehr sie George Clooney vermisst hatte, als er bei ›Emergency Room‹ aufhörte.
Sie sagte nichts, reichte Eysteinn nur den Ausdruck der E-Mail, den ihr der Justizminister gegeben hatte.
Der Empfänger der Nachricht war
[email protected].
Der Absender hieß
[email protected].
In der Betreffzeile stand VERTRAULICH, und die