Mail begann wie folgt:
Herr Kjartan A. Hansen.
In meiner Obhut befindet sich DAS EINZIGE EXEMPLAR eines interessanten Buchmanuskripts von Freyja Hilmarsdóttir mit dem Titel WALKÜREN. Es beginnt so:
»Frauen fungieren seit Menschengedenken als Konsumgüter der Männer …«
Eysteinn las die E-Mail aufmerksam. Als er den Betrag sah, den der Erpresser forderte, stieß er einen leisen Pfiff aus: fünfhunderttausend Euro.
»Über vierzig Millionen Kronen«, sagte er und legte das Blatt auf Elíns Schreibtisch. »Für ein Buch, das nie geschrieben wurde.«
27
Dotcom
Magnús wäre nie auf die Idee gekommen, irgendjemandem seinen Computer anzuvertrauen. Deshalb wich er, als sein Vertrauensmann das Computergenie brachte, nicht von dessen Seite, als der sich an dem Gerät zu schaffen machte. Magnús dachte darüber nach, dass in der gesamten Menschheitsgeschichte noch nie eine Gesellschaftsgruppe so viel Einblick in die Gedankenwelt und das Privatleben der Leute gehabt hatte wie die heutigen Computerfreaks. Jeder Computer enthielt eine Riesenmenge an Informationen über seinen Benutzer. Neben Privatkorrespondenz und Finanzinformationen enthielt er auch die Pfade seines Besitzers durch das Internet; jeder Schritt, den dieser unter eigenem Namen oder dem Schutz eines Pseudonyms im Sündenpfuhl der Computerwelt machte, wurde auf der Festplatte gespeichert.
Im Grunde machte Magnús sich nur wenige Gedanken darüber, dass das Jüngelchen beim Wühlen in den Eingeweiden des Computers auf wichtige Informationen über die Firma oder seine Geschäftspartner stoßen würde. Viel eher befürchtete er, der Junge könnte sich darüber lustig machen, dass Magnús Mínus gern und häufig zu Gast war auf den härtesten Pornoseiten, die das Netz zu bieten hatte. Es war schon seltsam, dass Priester, Ärzte und sogar Anwälte ihren Klienten und Schützlingen gegenüber Schweigepflicht wahren mussten, während Computerfreaks, die auf ihren schmutzigen Turnschuhen bis in die dunkelsten Winkel der menschlichen Seele hineintappen konnten, keinen ethischen Grundsätzen unterstellt waren.
Der Computerfreak tippte und hämmerte eifrig auf die Tastatur ein, leicht zusammengesunken und mit hängenden Schultern. Magnús saß an der Ecke des Schreibtischs und hatte keine Ahnung, was der Junge da tat, hoffte nur, dass er sich aufgrund von Magnús’ Anwesenheit allein darauf konzentrieren würde, herauszufinden, wer sich hinter der E-Mail-Adresse
[email protected] verbarg, und seine Neugier ansonsten zügelte.
Endlich schien der Freak genug herumgewerkelt zu haben. Er schob seinen Stuhl zurück und schaute Magnús an.
»Da war totales Chaos bei dir«, sagte er. »Ich hab in 147 Dateien Viren gefunden und sie gelöscht.«
»Welche Dateien hast du gelöscht?«
»Ich hab keine Dateien gelöscht. Ich hab dir nur die Viren vom Hals geschafft. Hast du denn nicht gemerkt, dass dein Computer immer langsamer geworden ist?«
»Da hab ich nicht so drauf geachtet.«
»Du solltest dir einen neuen zulegen«, bemerkte der Freak. »Der hier ist doch schon mindestens zwei Jahre alt.«
»Hör zu, darum geht es nicht«, entgegnete Magnús. »Ich habe dich nicht darum gebeten, nach irgendwelchen Viren zu suchen. Du sollst herausfinden, ob sich diese E-Mail zurückverfolgen lässt, zu walkueren@hotmail. Ich muss wissen, wer sich hinter der Adresse verbirgt.«
»Dotcom«, ergänzte der Freak
Magnús schaute ihn fragend an.
»Dotcom«, wiederholte der Freak, »
[email protected].«
»Ja, hab ich doch gesagt«, erwiderte Magnús.
»Zuerst muss man den Computer auf Viren scannen«, erklärte der Freak, ohne näher auf die E-Mail-Adresse einzugehen. »Du willst doch bestimmt nicht, dass dein Computer auf einmal sämtliche E-Mails, die du bekommen hast, an alle Einträge in deinem Adressbuch verschickt oder so was. Also, es ist kein Problem, rauszukriegen, von wo die Mail abgeschickt wurde, oder ihre IP-Nummer festzustellen. IP steht übrigens für Internet Protocol. Jeder Computer, mit dem man ins Internet geht, hat eine bestimmte IP-Nummer, die sich aus vier Zahlengruppen mit jeweils bis zu drei Ziffern zusammensetzt. Deine IP-Nummer ist zum Beispiel 84.210.53.179, aber sie könnte auch länger sein, zum Beispiel 96.214.174.193, oder noch länger, also eigentlich jede Zahl, die zwölf oder weniger Ziffern hat, unter Berücksichtigung bestimmter Regeln. Es ist kein Problem, die IP-Nummer eines Computers rauszukriegen, wenn er vor einem steht.