Walkueren
auf ihrem Schreibtisch und schaute erst wieder auf, als sie hörte, dass Eysteinn die Tür hinter sich zugezogen hatte. Ursprünglich hatte sie ihn bis ins kleinste Detail über seinen Kontakt zu Freyja ausfragen wollen.
Das konnte warten.
29
Schnappmesser
Das Nachmittagsmeeting begann um 18:12 Uhr, als Randver eintraf und sich ans Kopfende des Tisches setzte. Er kam als Letzter, war bei einer Besprechung mit Polizeidirektor Lúðvík, Víkingur und irgendwelchen Erbsenzählern vom Landesrechnungshof gewesen, die beabsichtigten, die Wache einer Betriebsprüfung zu unterziehen. Randver wusste, dass Polizeidirektor Lúðvík davon überzeugt war, der Justizminister hätte ihm das Finanzamt auf den Hals gehetzt, um ihm das Leben schwer zu machen – am liebsten unerträglich.
Marinó nutzte die Zeit vor Beginn des Meetings, um seine Kollegen ein Gesuch an den Polizeidirektor für einen neuen Kaffeeautomaten unterzeichnen zu lassen. Marinó war magenkrank und litt häufig unter Bauchschmerzen und Blähungen. Den Kaffeeautomaten im Flur vor dem Besprechungszimmer hielt er für die Ursache seiner Beschwerden, da dieser eine giftige Brühe produzierte und nicht jenes gesunde, anregende Qualitätsgetränk, das die Gedanken schärft und den Geist belebt.
Alle unterzeichneten bereitwillig, aber Marinós Enttäuschung war groß, als er sich an den Tisch setzte und die Unterschriften seiner Kollegen näher betrachtete. Als Erster hatte Terje mit Sherlock Holmes statt mit Terje Joensen unterschrieben. Dagný war seinem Beispiel gefolgt und hatte mit Annika Bengtzon unterschrieben; auch Jón hatte bei dem Ulk mitgemacht und Hercule Poirot hingekritzelt. Sogar der neue Kollege, Karl Ágústsson, hatte es für angebracht gehalten, sich für Batman zu entscheiden. Was für eine kindische Truppe. Inspector Morse (Theódór) und Steve Carella (Helgi). Und Guðrún? Warum hatte sie sich für Gunvald Larsson entschieden?
Marinó wurde durch das schallende Gelächter am Tisch aus seinen Gedanken gerissen; natürlich glaubte er, man lache auf seine Kosten. Daher begriff er zunächst gar nicht, worum es ging, als Jón ihm erklärte, Dagný habe von den Außerirdischen erzählt.
»Dagný hat Außerirdische gesehen?«, fragte Marinó. Jón erklärte es ihm.
»Und der Mann glaubt das allen Ernstes?«, sagte Marinó, der sich seiner eingeschränkten Humorfähigkeit bewusst war und sich oft darüber wunderte, dass dieses Defizit immer wieder für Heiterkeit bei seinen Kollegen sorgte.
Randver nahm es Terje nicht übel, als der ihn fragte, ob bei der Besprechung beim Polizeidirektor ebenfalls irgendwelche Außerirdischen aufgetaucht seien.
»Nein«, antwortete Randver, »es sei denn, die Typen vom Landesrechnungshof kommen von einem anderen Planeten.«
»Ach, da waren welche vom Landesrechnungshof?«, fragte Marinó. »Hast du das mit dem Kaffeeautomaten angesprochen?«
»Gehen wir kurz durch, was heute passiert ist«, fuhr Randver ungerührt fort. »Dagný hat euch offenbar schon von Sveinbjörns Vernehmung erzählt, deshalb fängst du am besten an, Guðrún.«
Guðrún erzählte: Sie war am Morgen in Freyjas Wohnung gewesen und dort von jemandem überrascht worden. Mit Terje hatte sie dann Frau Bára Thomsen im Wohnblock gegenüber besucht, und die alte Dame sei sich sicher gewesen, einen Mann gesehen zu haben, der Freyja in der Mordnacht auf dem Weg zu ihrem Auto gestützt habe.
»Ich weiß nicht, wie genau sie ihn beschreiben kann«, erklärte Guðrún. »Die Frau ist über neunzig. Aber sie sieht ausgezeichnet. Immerhin hat sie mich durchs Fenster erkannt.«
»Dieses schöne Haar«, feixte Terje.
»Jedenfalls hat Frau Bára gesehen, dass Freyja in der besagten Nacht in Begleitung eines Mannes war.«
»Und andere Nachbarn im Wohnblock oder im näheren Umkreis? Haben die in der Nacht oder in den letzten Tagen etwas gesehen?«, fragte Randver.
Jón fasste kurz zusammen: Marinó und er hatten alle Bewohner des Blocks aufgesucht, aber niemanden gefunden, der in den letzten Tagen oder Nächten etwas von Freyja mitbekommen hätte.
Jón wohnte selbst in einem Wohnblock in Breiðholt und fühlte sich dort wohl, auch wenn seine Frau sich immerzu den Kopf darüber zerbrach, wie erstrebenswert es doch sei, sich für den Rest ihres Lebens zu verschulden und irgendwo ein kleines Reihenhäuschen zu kaufen.
»Meiner Meinung nach zeigt das deutlich«, sagte er vollmundig, »wie abwegig es ist, zu glauben, wer in einem Wohnblock lebt,
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