Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Walkueren

Walkueren

Titel: Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Þráinn Bertelsson
Vom Netzwerk:
Dreiviertelstunde da. Entschuldige, dass ich so begriffsstutzig bin, wenn ich aufwache.«
    »Danke«, entgegnete er. »Ich habe größtes Verständnis für Begriffsstutzigkeit.«
    Er war ziemlich schlecht drauf. Aber Þórhildur hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie musste sich darauf konzentrieren, die angesengten, verschrumpelten Überreste eines Menschen zu untersuchen, die in einer Art Embryostellung auf dem Obduktionstisch lagen. Der linke Arm befand sich in zwei Teilen neben dem Rumpf, aber ein Stück fehlte: die Hand. Der andere Arm war nicht abgetrennt worden, sondern ruhte dicht neben dem Körper, die Hand auf dem Bauch zu einer Faust geballt. Zwischen den schwarzen Fingerknöcheln blitzte ein silberner Gegenstand auf. Sie versuchte, ihn zu lösen. Es war nicht schwierig. Þórhildurs geschickte Hände bekamen das Ding zu fassen. Drei verkohlte Fingerknochen brachen von der Hand der Leiche ab und fielen auf den Tisch.
    Ein Benzinfeuerzeug der Marke Zippo.
    Sie schnippte den Deckel hoch und drehte am Zündrad. Die Flamme flackerte beim ersten Versuch auf.
    Ein Zippo versagt nie.
     
    Guðrún dachte darüber nach, mit einer Sonnenbrille bei der Arbeit aufzukreuzen, als sie kurz nach Mitternacht den Einsatzruf erhielt. Sie hatte lange Zeit nicht einschlafen können, hatte wach gelegen und versucht, nüchtern über die Zukunft nachzudenken, zuallererst über die Kinder, dann über sich selbst. Aber wie sehr sie auch versuchte, sachlich zu bleiben, sie kam immer zu dem Ergebnis, dass die Grundlage ihres Lebens zerbrochen war und sie sich im freien Fall in einen ungewissen Abgrund befand.
    Abgesehen von der Erniedrigung war das Vertrauen in ihren Mann wie weggewischt. Und was blieb dann noch übrig?
    Liebe? Baute Liebe nicht auf bedingungslosem Vertrauen auf, wenn die Wogen der Leidenschaft abgeflaut waren und das Leben sich um Kindererziehung, Haushalt, Schuldentilgung und schmutzige Unterhosen drehte?
    Gewohnheit? War es nicht das Vertrauen, welches das Zusammenleben mit einem anderen Menschen überhaupt möglich machte? Konnte man sich daran gewöhnen, mit Misstrauen und Unsicherheit zu leben? Eine Trennung wäre natürlich ein Schock für die Kinder. Aber andererseits täte es ihnen nicht gut, in einer Atmosphäre voller Argwohn und Kälte aufzuwachsen.
    Verzeihen? Konnte man die eigenen Gefühle steuern und sich aus Vernunftgründen zum Verzeihen zwingen?
    Oder war Ehebruch wie andere Sorgen und Probleme ein natürlicher Bestandteil des Lebens?
    Mitten in ihren wirren Gedanken brach sie in Tränen aus, als der Einsatzruf kam. Guðrún wollte nicht mit verheulten Augen und verquollenem Gesicht bei der Arbeit erscheinen, aber mitten in der Nacht mit einer Sonnenbrille aufzutauchen, wäre auch nicht gerade geschickt.
     
    Die Feuerwehr war immer noch bei den Überresten des Altúnga-Hauses in Síðumúli im Einsatz, weshalb sich die Kripoleute und Techniker auf die Untersuchung von Guttormurs Einfamilienhaus in Hrútasel 14 konzentrierten.
    In dem Reihenhaus gab es nur wenige Möbel. Im Schlafzimmer stand ein Doppelbett mit zwei Matratzen. Die eine Seite war ordentlich gemacht, Bettdecke und Kissen lagen unter einem hellblauen Überwurf. Die andere Matratze war mit einer weißen Plastikplane überzogen, auf die ein nackter, lebensgroßer Frauenkörper mit riesengroßen Brüsten und spitz hervorstehenden Brustwarzen gezeichnet war. Zwischen den Beinen befand sich nicht das klassische Dreieck, sondern ein männliches Geschlechtsorgan in grotesker Übergröße, der Penis voll erigiert und die Eichel so groß wie der Kopf des gezeichneten Geschöpfs. Der eigentliche Kopf war weiblich, mit wallendem Haar, allerdings mit zwei aus der Stirn wachsenden Teufelshörnern versehen. Zwischen den wollüstigen, geschwungenen Lippen ragten zwei lange, scharfe Eckzähne hervor, auf die jeder Vampir stolz gewesen wäre. Auf der einen Hüfte stand in Druckbuchstaben SATAN und auf der anderen FRAU.
    Im Kleiderschrank befand sich einiges an Herrenkleidung in Größe 52, ausnahmslos Qualitätsware berühmter Designer und Marken, aber in schlechtem Zustand und meilenweit von der aktuellen Mode entfernt.
    Im Wohnzimmer standen nur ein Esstisch und acht Stühle. Nirgends in der Wohnung gab es Teppichböden oder Läufer. Im Wohnzimmer hingen keine Bilder, obwohl an vielen Stellen Nägel aus den Wänden ragten und bezeugten, dass es hier irgendwann einmal ganz anders ausgesehen hatte. Ein Lehnstuhl mit Fußbänkchen nahm

Weitere Kostenlose Bücher