Walkueren
große Beharrlichkeit und Anstrengung gekostet, sich jene Technik anzueignen, die wie ein Wirbelwind angebraust war, die Welt auf den Kopf gestellt und alte Schriften, von den Gelehrten des Zeitalters der Druckkunst mit Schweiß und Tinte niedergeschrieben, hoch in die Luft gefegt hatte. Theódór bildete sich einiges darauf ein, diese neumodischen Höllenmaschinen zu beherrschen. Er war dahintergekommen, dass sich im Grunde nur die Schreibwerkzeuge geändert hatten; die Welt war immer noch genauso wie vorher, nur dass man jetzt ein Passwort benötigte.
Der Computer stand auf einer IKEA-Spanplatte auf Tischböcken. Es gab auch einen Drucker, und die Zimmerwände waren mit Internet-Ausdrucken übersät, die auf den ersten Blick alle die Bosheit der Muslime und die Notwendigkeit eines Kreuzzuges der westlichen Welt gegen die Anhänger des Islam verkündeten. Der Präsident der Vereinigten Staaten belegte Ehrenplätze an drei Wänden, während die bärtigen Verdammten an der vierten hingen, in einer Nische auf die bullernde Heizung unter dem Fenster geklebt: oben Osama bin Laden und in der Mitte Fidel Castro, wobei nicht ersichtlich war, welcher von beiden der Bösere sein sollte.
»Außer für Alkohol scheint er sich vor allem für Religion, Rassismus und Pornografie interessiert zu haben«, meinte Theódór.
In dem Raum gab es weder Regale noch Aktenschränke; auf dem Schreibtisch stapelten sich Unterlagen, sodass der Computer und der Drucker kaum mehr zu sehen waren. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Hausherr ein bestimmtes System verwendet hatte. Unterlagen und Papiere, die nicht übermäßig wichtig waren, hatte er in Plastiktüten der Supermärkte Bónus und Mínus sortiert, bedeutendere Dokumente lagen in den Tüten teurerer Geschäfte wie Hagkaup und Nóatún. Die Plastiktüten bedeckten den gesamten Fußboden und stapelten sich unter der Schreibtischplatte. Nur von der Tür bis zum Klappstuhl am Computer führte ein freier Gang. Die wichtigsten Unterlagen waren offenbar in größeren, stabileren Tüten von Modeboutiquen aufbewahrt, die sich auf den einfacheren Tüten stapelten. Die größte und schickste Tüte stammte von Harrod’s in London und enthielt das Allerwichtigste. Víkingur inspizierte sie als Erster und überlegte, ob der Papiersammler ausgerechnet dieser Tüte den kostbarsten Inhalt anvertraut hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Inhaber von Harrod’s Mohammed Al Fajed hieß und unter den Anhängern des Propheten in Ägypten geboren und aufgewachsen war.
Aus der Tüte kam eine graue Mappe aus Recyclingpapier in A3-Größe zum Vorschein. Darauf stand mit Filzstift:
TAGEBUCH DES RÄCHERS
In der Mappe lagen lose Blätter, Computerausdrucke, Zeitungsschnipsel und ein Exemplar einer über drei Jahre alten Zeitschrift. Es handelte sich um die erste Ausgabe der Wochenendbeilage des Abendblatts, die viele aus brennendem Interesse an ihren Mitmenschen lasen, sich aber zugleich für ihre Neugier schämten und behaupteten, dieses Blatt unterbiete alles, was es im isländischen Journalismus je gegeben habe. Es war eine Ausgabe von ›Leute und Neues‹.
Das oberste Blatt auf dem Stapel war in Druckbuchstaben beschriftet.
Ganz oben stand:
LISTE DER GERECHTIGKEIT
Dann folgte eine Namensliste:
Freyja Hilmarsdóttír = Viper = – Giftschlange = Satan
Gottes Gerechtigkeit zeigt sich in seinem Werk
die Frau ist Satan
Buchverlag Altúnga = Höllenfeuer
das Abendblatt – kleine Teufel Teitur Jónsson und Tómas Davidsson
Stefán Hauksson – der große Dieb
UND!!!
Sígrún Freysdóttír – am Tag des Gerichts werden dich die Flammen der Hölle einschließen!!!!!!
»Ganz oben auf dieser Liste steht Freyja Hilmarsdóttir. Sie wurde am Dienstagmorgen tot aufgefunden. Dann kommt der Buchverlag Altúnga, der vom Verfasser der Liste heute Abend in Brand gesteckt wurde.«
»Was für ein merkwürdiger Zufall«, sagte Karl und versuchte, sarkastisch zu klingen.
»Messerscharf geschlossen«, sagte Víkingur und klang ungewollt sarkastisch. Als er die Worte ausgesprochen hatte, biss er sich auf die Zunge. Es war unschön, seine schlechte Laune und Unzufriedenheit an seinen Mitarbeitern auszulassen. »Entschuldige. Ich wollte nichts andeuten, ich bin nur wütend auf mich selbst, darauf, wie ich den Fall angepackt habe.«
»Was habe ich denn falsch gemacht?«, fragte Guðrún. Sie schien kurz davor zu sein, in Tränen auszubrechen.
»Du hast gar nichts falsch gemacht.
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