Walkueren
eine interessante Einstellung.«
»Hm«, machte Víkingur. »Und was weißt du über Freyja Hilmarsdóttir?«
»Nur das, was alle wissen. Frauenparteilerin, Feministin, Schriftstellerin. Und alle warten gespannt auf ihr Buch. Es soll um die spektakulären Eheerfahrungen von Frauen gehen, die mit Top-Promis, zum Beispiel Magnús Mínus, verheiratet waren. Ein unverblümtes, spannendes Buch. Soll ›Walküren‹ heißen.«
»Das wissen ja nun wirklich alle«, bemerkte Víkingur. »Was weißt du sonst noch?«
»Sie war natürlich bi«, sagte Teitur.
»Bi-was?«
»Bisexuell. Mal mit Frauen, mal mit Männern. Ich hab sie kaum gekannt, bin aber gut mit ihr ausgekommen.«
»Warum?«
»Weil sie getan hat, was sie wollte, und auf die ganze Heuchelei geschissen hat. Sie hat nichts vorgespiegelt und offen ihre Meinung gesagt. Solche Leute kommen in der Politik nur selten nach oben, und sie ist ja auch von ihrem Mandat zurückgetreten. Die anderen Weiber bei der Frauenpartei waren ganz schön blöd, dass sie sie gehen lassen haben. Die haben nicht begriffen, wie groß das Bedürfnis nach Aufrichtigkeit in unserer heuchlerischen Gesellschaft ist, wo immer alle so tun, als seien sie ganz anders, als sie wirklich sind.«
»Und was dann?«
»Wie, was dann?« Obwohl Teitur gern erzählte, nervte es ihn, verhört zu werden und Informationen preiszugeben, ohne dafür im Gegenzug etwas zu bekommen.
»Was hat sie gemacht, nachdem sie aus der Politik ausgestiegen ist?«
»Sie hat einfach gemacht, was sie wollte. Frauenforschung unterrichtet, Vorträge gehalten und geschrieben. Und dann hat sie natürlich noch den Bestseller ›Bettfreuden‹ veröffentlicht. Da haben viele feuchte Hände gekriegt, als der rauskam. Sowohl Frauen als auch Männer. Ein sehr direktes Buch.«
»Offenherzig«, pflichtete Víkingur ihm bei.
»Ja, wenn man den Mut hat, unumwunden die Wahrheit zu sagen, muss man immer damit rechnen, als Sexbestie, Großmaul oder Skandaljournalist bezeichnet zu werden«, sagte Teitur. Er identifizierte sich offenbar mit Freyja und anderen Märtyrern der Wahrheit. »Und manche schlägt man sogar nieder und bricht ihnen die Knochen, ohne dass die Polizei einen Anlass sieht, ihnen zu Hilfe zu kommen«, fügte er hinzu und klopfte zur Bestätigung gegen seinen Gipsarm.
»Tja, es ist kein Kinderspiel, der Wahrheit zu dienen«, sagte Víkingur. »Das wissen wir bei der Polizei am allerbesten.«
Das war Teitur zu viel: Die Arbeit der Polizei mit der eines wahrheitssuchenden Journalisten zu vergleichen, hatte auf Teitur dieselbe Wirkung wie das Winken mit einem roten Tuch auf einen Stier.
»Seit wann ist es Aufgabe der Polizei, die Wahrheit zu suchen?«, empörte Teitur sich. »Ihr sollt die Einhaltung der Gesetze überwachen, ihr wacht über das System. Echte Journalisten stehen außerhalb dieses Systems und werfen ein kritisches Auge darauf. In hundert Jahren wird das, womit sich die Polizei beschäftigt, als unsinnig, primitiv und kriminell angesehen werden.«
»Aha?«, sagte Víkingur und dachte im Stillen, dass dies wahrlich das Vernünftigste gewesen war, was Teitur Jónsson bisher von sich gegeben hatte.
»Der größte Teil eurer Arbeit besteht doch darin, Alkoholiker und Drogenabhängige zu fassen, die im Rausch irgendwas Illegales getan haben, ihnen das nachzuweisen und sie für Diebstähle, Überfälle, Einbrüche, Körperverletzungen oder Totschlag ins Gefängnis zu bringen«, fuhr Teitur fort. »Ständig buchtet ihr Leute ein, die nie gegen das Gesetz verstoßen hätten, wenn sie nicht stockbesoffen oder weggetreten gewesen wären. Ihr verfolgt Kranke, die das System nicht heilt, sondern wegsperrt, so wie Geisteskranke vor hundert Jahren behandelt worden sind. Das sind alles Leute, die keiner Fliege was zuleide getan hätten, wenn sie sich nicht zugesoffen oder sich das Hirn weggeknallt hätten. Und diese Leute kommen ins Zuchthaus und werden da verwahrt, bis sie einen solchen Hass auf die Gesellschaft entwickelt haben, dass sie es nicht erwarten können, wieder rauszukommen und noch mehr Straftaten zu begehen. Die Mehrheit dieser Leute ist einfach krank. Anstatt nach Wegen zu suchen, diesen Leuten zu helfen, werden sie ins Gefängnis gesteckt. Oder sehe ich das falsch?«
»Nein, du hast völlig Recht«, antwortete Víkingur. »Aber du wirst das nicht unter meinem Namen abdrucken.«
»Nein, in dieser Scheißgesellschaft traut sich ja niemand, etwas laut zu sagen«, tönte Teitur. »Niemand.«
Víkingur
Weitere Kostenlose Bücher