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Walkueren

Walkueren

Titel: Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Þráinn Bertelsson
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als Hund.
    Das musste bedeuten, dass er mit seinem Leben zufrieden war.
    Weiter kam Jökull mit seiner Lebensbilanz nicht, denn er spürte, wie der Leibwächter aufstand. Jökull wälzte sich auf den Rücken und rappelte sich dann hoch. Zum Glück war sein Mantel lang genug, um die Nässe an den Innenseiten seiner Hosenbeine zu verdecken. Er musste daran denken, am Abend Penicillin zu nehmen, um einer Blasenentzündung vorzubeugen. Was war eigentlich passiert?
    Hakim hatte sich erhoben, stand am Brückengeländer und beugte sich über den Pfuhl. Jamila stand neben ihm und fuchtelte und gestikulierte mit den Händen. Der Leibwächter, der sie eben noch eifrig geohrfeigt hatte, schien nun irgendwelche Anweisungen von ihr zu befolgen. Er hatte die Brücke verlassen und tastete sich vorsichtig über den glatten, verharschten Schnee hinunter zum Fluss, der gemächlich zwischen den Eisschichten an der Uferböschung hindurchfloss.
    Als Jökull ans Brückengeländer trat, war der Leibwächter Jamilas Handzeichen und Anweisungen so weit gefolgt, dass er bis zu dem Eisrand am Pfuhl vorgedrungen war. Er streckte seinen Arm über das dunkelblaue Wasser. Unter der Wasseroberfläche blitzte etwas auf. Der Leibwächter starrte wie hypnotisiert ins Wasser und wartete darauf, dass die Strömung das Ding näher zu ihm treiben würde. Er konnte Frauenhaar erkennen, von wunderschöner goldener Farbe. Schnell ergriff er die Gelegenheit, packte die Frau am Haar und zog sie zu sich.
    Erst tauchte ihr Gesicht auf, blassbläulich und aufgedunsen und ebenso unheimlich, wie ihr Haar auf wundersame Weise schön war.
    Als der Körper der Frau an die Wasseroberfläche kam, konnte man erkennen, dass sie nackt war.
    Der Leibwächter stellte fest, dass das Haar nicht mehr fest genug am Kopf saß, um die Leiche ans Ufer ziehen zu können. Er musste den Körper zu packen bekommen. Als er seine andere Hand ausstreckte und die Leiche an den Schultern fassen wollte, rutschte er auf dem Eis aus und stürzte kopfüber in den Pfuhl, der blonden Frau, die ihn in ihrer schamlosen Nacktheit empfing, direkt in die Arme.
    Jökull starrte entsetzt ins Wasser. Aus der Reaktion des Leibwächters folgerte er, dass Schwimmen in dessen Heimat wohl nicht zu den Pflichtschulfächern gehörte. Der Mann zappelte und schlug um sich, ohne jedoch das Haar der Frau loszulassen, deren Kopf ab und zu aus dem Wasser auftauchte und ihn mit offenem Mund auszulachen schien.
    Aus unerwarteter Richtung kam Hilfe. Jökull und der Protokollant standen wie gelähmt da und beobachteten den Todestanz. Sie waren beide keine riskanten Aktivitäten gewohnt. Hakim wandte die Augen nicht von dem Pfuhl ab und hing über dem Brückengeländer. Es war Jamila, die dem Mann zu Hilfe kam. Sie tastete sich hinunter zum Pfuhl, wobei sie ihre hohen Absätze wie Steigeisen benutzte, um Halt zu bekommen. Dann wickelte sie ihren langen Schal vom Hals und versuchte, dem Leibwächter, der im Wasser herumstrampelte, das eine Ende zuzuschmeißen. Beim zweiten Versuch gelang es ihr, den Schal weit genug ins Wasser zu schleudern, sodass der Mann ihn greifen konnte. Langsam und vorsichtig zog sie ihn mit der Leiche im Schlepptau gegen die Strömung. Als der Leibwächter sich dem Ufer näherte, bekam er Boden unter den Füßen und konnte an Land krabbeln, ohne seine Weggefährtin loszulassen.
    Jamila watete ins Wasser, packte die Frau unter den Achseln und schleifte die Leiche auf das vereiste Ufer, wo sie totenbleich im weißen Schnee liegen blieb.
    Die Anspannung wich ebenso schnell, wie sie gekommen war.
    Der Leibwächter hockte auf allen vieren neben der Leiche, erbrach sich und spuckte Wasser.
    Jamila hatte den Mann zwar lebend geborgen, aber die Frau war offenbar schon länger tot. Jamila nahm den Schal, mit dem sie den Leibwächter gerettet hatte, und verhüllte die Leiche.
    Hakim durchbrach die Stille. Er lächelte Jökull zu, so als sei dieses Schauspiel eine gelungene Vorführung seines Gastgebers gewesen.
    »Bei allem Respekt«, sagte Hakim Abdul-Rahman und betrachtete die Leiche auf dem weißen Eis, »ich kann nicht feststellen, dass die Isländer in Gleichberechtigungsfragen wesentlich weiter wären als wir.«
36
Leute und Neues
    Der Traum von Teitur Jónsson, dem Ressortleiter Nachrichten des Abendblatts, eine Zeitschrift zu publizieren und einen Chefredakteursposten zu übernehmen, ging in Erfüllung, als die Wochenendbeilage des Abendblatts ins Leben gerufen wurde. Sie bekam den Namen ›Leute und

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