Walkueren
schwieg. Schweigen war das Gleiche wie Zustimmung, dachte er.
»Man präsentiert sich seinen Mitmenschen als öffentliche Person, und wenn man zu Hause die Gardinen zugezogen hat, ist man jemand ganz anderes«, redete Teitur weiter. »Wir sind alle gleich, aber wir wollen es nicht zugeben. Jeder tut so, als sei er besser als sein Nachbar.«
»So ist das wohl«, sagte Víkingur. Er hätte das Gespräch gerne beendet.
Aber Teitur war noch nicht so weit. Vor noch nicht allzu langer Zeit war er durch seinen Job wiedergeboren worden und hatte die Wahrheit entdeckt. Diese Erfahrung musste er mit anderen teilen, ob sie wollten oder nicht.
»Eure Arbeit bei der Polizei besteht darin, kranke Menschen zu verfolgen und sie aus der Gesellschaft zu entfernen, wie irgendeinen Dreck. Ihr Jungs seid zu beschäftigt – entschuldige, die weiblichen Polizisten natürlich auch«, sagte Teitur und schaute entschuldigend zu Guðrún, die ihm zugehört, aber bisher noch nichts gesagt hatte, »ihr seid so damit beschäftigt, Kranke zu verfolgen, dass ihr euren eigentlichen Job gar nicht mehr machen könnt.«
»Und welcher Job soll das sein?«, fragte Víkingur.
»Tja, das hast du wohl schon vergessen«, sagte Teitur. »Die Polizei soll die echten Verbrecher finden und ins Gefängnis stecken; echte Kriminelle, die ganz nüchtern, vorsätzlich und kaltblütig Delikte begehen, um davon zu profitieren oder weil sie Lust an Gewalt haben. Echte Kriminelle sind hierzulande fast unbekannt. Aber glaubt ihr etwa, die gäbe es hier nicht? Oh nein! Sie laufen frei herum. Echte Kriminelle, die kaltblütig Straftaten begehen, landen fast nie im Gefängnis.«
Teitur hatte sich heißgeredet und hätte zweifellos noch weitergemacht, wenn Víkingurs Handy nicht geklingelt hätte. Víkingur schaute aufs Display und sah, dass Polizeidirektor Lúðvík am Apparat war. Er hob seine Hand, um Teitur zu signalisieren, er solle seine Stimme senken. Dann ging er ran.
»Víkingur.«
Aus Víkingurs kurzen Bemerkungen am Telefon konnte Teitur heraushören, dass es sich um ein internes Gespräch handelte. Er sperrte die Ohren auf, in der Hoffnung, etwas Berichtenswertes aufzuschnappen. Teitur bereute schon, dass er sich von Víkingur hatte provozieren lassen. Es war dumm, diejenigen zu beschimpfen, die man sich besser warmhalten sollte, weil man auf Informationen angewiesen war.
Als das Telefongespräch beendet war, versuchte Teitur, den Schaden einigermaßen wiedergutzumachen.
»Natürlich ist daran nicht die Polizei, sondern der Gesetzgeber schuld«, lenkte Teitur ein. »Nehmen wir beispielsweise einen Mann, der wegen Alkohol am Steuer aufgegriffen wird. Welchen Einfluss hat das auf ihn? Hört er auf zu trinken? Natürlich nicht! Er lernt daraus nur, dass minimale Schwierigkeiten und Kosten auf ihn zukommen, wenn er besoffen Auto fährt. Wenn jemand wegen Trunkenheit am Steuer erwischt wird, sollte selbstverständlich der Wagen konfisziert und der Fahrer in eine Entzugsklinik gebracht werden. Genau dasselbe muss man auch mit anderen Gelegenheitstätern machen. Man muss sie therapieren und für das Vergehen bezahlen lassen. Sie müssen den Schaden, den sie verursacht haben, wiedergutmachen.«
»Ja«, sagte Víkingur. »Da ist was Wahres dran. Aber du musst mich jetzt leider entschuldigen. Dank dir für die Infos.«
»Du musst dich nicht bei mir bedanken«, entgegnete Teitur. »Du weißt ja, wie das läuft. Es ist ein Handel. Ich erzähle dir was, das dir nützt, und du erzählst mir im Gegenzug auch was. Das ist der Deal.«
»Ich weiß nicht, ob du mir was erzählt hast, das nützlich für mich ist«, gab Víkingur zu bedenken. »Aber heute ist dein Glückstag. Du hast so viel Vernünftiges von dir gegeben, dass ich dir drei Infos geben werde. Drei Riesenneuigkeiten auf einmal. Und dafür bist du mir bis in alle Ewigkeit was schuldig.«
Teitur kniff die Augen zusammen und musterte den Hauptkommissar. War das etwa Polizistenhumor?
»Das Erste betrifft Freyja Hilmarsdóttir. Sie hat keinen Selbstmord begangen; sie ist ermordet worden. Das Zweite betrifft die Brandstiftung im Buchverlag Altúnga letzte Nacht. Der Brandstifter war aller Wahrscheinlichkeit nach geisteskrank, Guttormur Níelsson, den kennst du ja. Drittens wurde eine Frauenleiche im Ertränkungspfuhl in Þingvellir gefunden. Die einzige uns bekannte vermisste Frauenleiche ist die Leiche von Sveinbjörn Ragnarssons Ehefrau. Er sitzt in U-Haft. Ihre Identität wird im Laufe des Tages
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