Wall Street Blues
geistesabwesend, ohne ihn weg gehen zu sehen. Sie erinnerte sich daran, wie sie Barry Stark zum zweitenmal begegnet war... in Jake Donahues Büro.
D onahue & Co. lag im Süden Manhattans am Hanover Square, einer jener kleinen unwahrscheinlichen Oasen in der Gegend der Wall Street. Die Büros blickten auf einen winzigen Park hinunter, ein Rechteck aus Rasen, Bänken und Tauben, Unmengen von Tauben. Bei gutem Wetter war es um die Mittagspause ein Mekka. Makler und Unternehmer, Verkäufer und Kaufleute aßen auf den Bänken ihren Lunch und tauschten Informationen aus. Den heißesten Tip, Klatsch über andere Makler, Insider-Information über eine bestimmte Firma oder Aktie. Jeder Tag war Markttag. Drogen wurden offen gekauft und verkauft, mitten unter den Imbißverkäufern, die ebenfalls den kleinen Platz bevölkerten. Man konnte Chinesisches, Mexikanisches, Indisches, Griechisches, Italienisches, Spanisches oder gute, bewährte amerikanische Hot dogs genießen, alles von Karren verkauft, die an jedem Werktag um die Mittagszeit auf den Platz geschoben wurden.
Das Gebäude am Hanover Square war eine renovierte moderne Version alter Pracht. Angestrichene Säulen, die wie Marmor aussahen, illusionistisch bemalte Decken, die Gewölbe vortäuschten.
Donahue & Co. nahm eine ganze Etage ein. Die Aufzugtüren öffneten sich direkt in einen Empfangsbereich. Wetzon war aus dem Aufzug getreten und hatte sich in dem tristen, fast unmöblierten Raum umgesehen. Eine Bank mit braunen Kunstlederpolstern und drei Stühle aus Metall und Plastik, ohne Sinn für Wirkung, hingestellt. Die Fußböden waren mit strapazierfähigem Teppichboden in einem häßlichen hellen Senfgelb ausgelegt. In solchen Gebäuden schrieben die Mietverträge im allgemeinen irgendeine Auslegware vor, und diese hier war vermutlich die billigste, die Donahue bekommen konnte. Ein ramponierter Empfangstisch aus schwarzem Metall stand am anderen Ende des kleinen Raums links vom Aufzug; auf einem Schild an der Wand über dem Schreibtisch stand JACOB DONAHUE & CO., INC. Eine moderne Telefonanlage auf dem Tisch blinkte und piepte, aber es saß niemand da.
Wetzon blieb eine Weile stehen, dann sah sie sich nach der Bank um. Vielleicht sollte sie sich hinsetzen und warten. Sie war etwas zu früh dran. Auf einem quadratischen Tisch mit Glasplatte und verchromtem Gestell lagen ein paar Zeitschriften, Barron’s, Forbes und Business Week. Auf dem Tisch mit den Zeitschriften stand ein scheußlicher rosa Marmoraschenbecher von beachtlicher Größe. Der Aschenbecher lief über von Kippen, und der strenge Geruch nach Zigaretten hing in der Luft. Es war das Ende eines normalen langen Arbeitstages um die Wall Street.
Sie setzte sich nicht. Sie hatte das deutliche Gefühl, daß Schmutz und Asche auf sie abfärben würden.
Neben dem Empfangstisch gab es eine Tür, die vermutlich in den Hauptraum, in dem die Börsennotierungen ausgehängt wurden, und zu den anderen Büros führte. Es unterschied sich nicht sehr von den Büros im Textiliendistrikt, aber warum auch? War das nicht die Branche, aus der Jake Donahue gekommen war?
Sie dachte darüber nach, was sie über Jake Donahue und seine Anfänge gelesen hatte, als die Aufzugtüren aufgingen und eine junge Frau heraustrat. Sie trug enge Jeans und Sandalen mit Pfennigabsätzen. Von der Zigarette zwischen ihren Fingern stieg Rauch auf. Sie hatte Dutzende von dünnen Goldkettchen unterschiedlicher Länge um den Hals, während der Rest von ihr von dem engen roten T-Shirt mit dem in großen schwarzen Lettern aufgedruckten Spruch BROKERS DO IT ON THE FLOOR kaum verhüllt wurde. Ihre Frisur war eine struppige Mähne, streifig Blond in Blond, und sie hatte eine Papiertüte im Arm, Essen oder Limo oder Zigaretten.
»Hallo«, sagte die Blondine freundlich. »Kann ich etwas für Sie tun? Jackie macht scheint’s Pause.« Jackie war offenbar die vermißte Empfangsdame.
Wetzon musterte sie und fühlte sich unangenehm overdressed.
»}a«, sagte Wetzon. »Ich möchte zu Barry Stark.«
»Kein Problem, er hat das Büro auf der rechten Seite, ganz hinten. Gehen Sie einfach hier durch.«
Sie riß die Tür auf und ließ einen derartigen Lärm heraus, daß Wetzon unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Es war wie ein Überfall, eine Kakophonie von Stimmen, erhoben oder gedämpft, plärrende Telefone und Fernschreiber, Lautsprecher, die Informationen über besondere Aktien herausdröhnten. Sie trat in den Raum, und die junge Frau warf die Tür
Weitere Kostenlose Bücher